Und stehe auf von den Toten - Roman
mächtigen Dioskuren, die jeder ein Pferd am Zügel hielten und auf einem Postament standen. Die Skulpturen maßen beinah acht Ellen und waren damit dreimal so groß wie ein Mensch. Ihre kräftige Muskulatur warnte jeden, dass mit ihnen nicht zu spaßen war.
Solche übermenschlichen Helfer wünschte sich Prospero Lambertini jetzt an seiner Seite. Denn er wusste nun, dass er mächtigen Männern in die Quere kommen würde.
13.
E r hatte noch etwas Zeit, bevor er Spigola treffen würde. Also beschloss er, nach Velloni zu schauen und ihn zu dem morgigen Termin in den Quirinalpalast zu bitten. Der Philologe hatte sich unweit der Vatikanischen Bibliothek in der Via del Campanile di Borgo, gleich neben der Kirche Santa Maria in Traspontina einquartiert. Es fanden sich schönere und preiswertere Wohnungen in Rom, doch ihr Vorteil bestand unzweifelhaft in der unmittelbaren Nähe zur größten Bibliothek der Welt. Diese Lage bewahrte ihn davor, wertvolle Zeit mit unnützen Spaziergängen zu vergeuden. Er hatte die deprimierende Ungleichung den Freunden und so auch Prospero Lambertini oft vorgerechnet. Setzte man nämlich die Anzahl der existierenden Bücher und Codizes gegen die optimistischste Schätzung der eigenen Lebenszeit, dann klaffte ein krasses Missverhältnis auf. Niemals würde er es also schaffen, auch nur die wichtigsten Werke zu lesen. Im Bewusstsein dieser Unmöglichkeit durfte er keine Zeit vergeuden. Wenig bedeutete ihm daher die Betrachtung der Natur im Vergleich zur Lektüre von Vergils Georgica. Die schönste Reise fand im Kopf statt, das eindrucksvollste Panorama spannten Buchseiten auf. Manchen mochte das einseitig und arm vorkommen, aber bedachte man, dass jede beschriebene Seite eine Tür in eine Vielzahl von Welten darstellte, dann war der Bibliothekar Gott, der sich frei im Weltall bewegte. Wie armselig muteten dagegen die Könige und Fürsten an, die, selbst wenn sie die ganze Welt beherrschten, eben nur eine einzige Welt regierten, nicht aber zwei, drei oder gar alle. Das gesamte unendliche Universum passte bequem in die Vaticana,
und Gott war der erste und letzte Autor und der Bibliothekar sein Prophet.
Um vom Quirinalpalast zum Borgo, der sich von der Engelsburg bis zum Petersdom erstreckte, zu gelangen, musste Prospero allerdings einmal quer durch die Stadt laufen. Schließlich hatte er die Brücke über den Tiber zu passieren und an den Kasematten vorbei sich durch das enge Geflecht der Häuser, Kirchen und Gassen zu kämpfen. Links wurde das Viertel, das der Poppolo nur Spina - die Gräte - nannte, von Trastevere und rechts von der gemauerten Verbindung zwischen Vatikan und Festung, dem sogenannten Passetto begrenzt.
Der Hilfsauditor hatte gerade die Piazza Agionale, die unmittelbar vor der Tiberbrücke lag, erreicht, als der Himmel seine Schleusen öffnete. Schnell bildeten sich Pfützen und Rinnsale, und die eintönig dunkelgrauen Wolkenmassen erweckten nicht den Eindruck, dass der Regen bald wieder aufhören würde. Es sah ganz so aus, als ob es sich tüchtig einregnete.
Als er endlich in die Via Campanile einbog, musste er sich bereits zwischen den Lachen aufgelösten Straßenkots hindurchschlängeln, die sich überall gebildet hatten, um nicht zu riskieren, dass ihm der Dreck in die Schuhe lief. Zusehends verband sich der Schmutz mit dem Wasser zu einer flüssigen, grau-schwarzen Masse, in der man leicht ausglitt und die an den Schuhen und Hosen wie Pech klebte. Seine Haare troffen vor Nässe, als er den Hauseingang des zweigeschossigen Gebäudes betrat.
Der Hausflur erstreckte sich unter einem geraden Tonnengewölbe wie eine Röhre zum Hof. Feuchter Mörtel muffte vor sich hin. In der Mitte des Durchganges bog Prospero nach links ab und nahm die Treppe, die in die
erste und zweite Etage führte. An einer großen schmucklosen Holztür klopfte er an. Valenti öffnete. Auf Prosperos hoffenden Blick antwortete der Graf mit einem resignierten Kopfschütteln. Die dunklen Regenwolken, die den Himmel verhangen, ließen nur wenig Licht in das Zimmer und begünstigten die Todesstimmung, die Einzug in die kleine Wohnung gehalten hatte. Den Hilfsauditor befiel eine Ahnung, als könnte, wenn die Nacht sich endgültig auf die Metropole und auf die Sinne seines Freundes legte, der Sensenmann durch die Stadt schleichen. Halblaut hörte er den Philologen auf Latein psalmodieren: »Dominus reget me et nihil mihi deerit... Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln./Er leidet mich auf einer
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