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Und stehe auf von den Toten - Roman

Titel: Und stehe auf von den Toten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Konvolute.
    Ein leises, glückliches Lächeln zeigte sich in den trüben Augen des im Dienst an der Geschichte ergrauten Mannes. Da sein Können gewürdigt und gefragt war, konnte er sich der Bitte nicht verschließen. Der Archivar fuhr mit dem kleinen Finger zärtlich über den weißgelben Deckel eines Konvoluts. Dann schaute er auf die Kuppe und kreiste sanft mit dem Daumen darüber. Die Stirn seines kleinen Gesichts legte sich in erstaunlich viele Falten. Er wirkte auf einmal erregt, wie ihn Prospero Lambertini nie zuvor erlebt hatte. Die seit Jahrzehnten zelebrierte Ruhe fiel von ihm ab. Mit kleinen Schritten eilte er zu seinem Arbeitszimmer und kehrte mit seinem Beryll zurück. Das altmodisch geschliffene Mineral erfüllte ihm immer noch die Funktion der Brille und der Lupe. Der Archivar untersuchte jetzt die Akten der vier Konvolute Stück für Stück. Er ging mit schier unerträglicher Gründlichkeit zu Werke, und Prospero musste sich mit aller Kraft zur Geduld zwingen.
    Nach einer halben Ewigkeit - so kam es Prospero zumindest vor - richtete sich der Archivar bedächtig auf, legte den Beryll beiseite und räusperte sich. Die Falten auf seiner Stirn schienen sich noch vertieft zu haben.
    »Ich verstehe es nicht, nach meinen gewissenhaft geführten Büchern ist das zwar ausgeschlossen, aber diese Akten haben nicht länger als drei Monate unbenutzt im Regal verbracht.«

    »Wie erklären Sie sich das?«
    »Dottore, dafür habe ich keine Erklärung. Und noch eins ist merkwürdig. Vielleicht sogar am merkwürdigsten.« Auf dem Gesicht des Alten bildeten sich vor Aufregung rote Flecken. »Die Blätter unterscheiden sich.«
    »Was soll das heißen?«, entfuhr es dem Hilfsauditor in scharfem Ton. Der alte Mann zuckte nur ratlos mit den schmalen Schultern. »Wie gesagt, ich stehe vor einem vollkommenen Rätsel, aber einige Blätter sind sicher alt, andere hingegen neu.«
    »Jünger als fünfzig Jahre?«
    Der Archivar nickte.
    »Sind Sie wirklich sicher?« Prospero wagte kaum zu glauben, was er hörte.
    »Schauen Sie, es ist ganz einfach. Papier vergilbt. Wie schnell und wie stark, hängt davon ab, wie holzhaltig es ist und welcher Leim verwendet wurde. Es ist offensichtlich, bei diesem Papier liegen die Zeitpunkte der Herstellung der einzelnen Bögen beträchtlich auseinander.«
    »Ich muss Sie noch einmal fragen: Enthält das Dossier Blätter, die jünger als fünfzig Jahre sind?«
    »Um es exakt zu bestimmen, benötigen Sie natürlich einen Fachmann, einen Papiermüller. Aber meiner bescheidenen Kenntnis nach, würde ich Ihre Frage vorsichtig bejahen.«
    Prospero musste lächeln. Sein Instinkt verriet ihm, dass er einen Faden, der zu einem noch unbekannten Knäuel der Wahrheit führte, in der Hand hielt. Dem musste er folgen. Deshalb wies er den Archivar an, einen Papiermüller mit einer Expertise zu beauftragen. Die anfallenden Kosten würde selbstverständlich die Rota übernehmen. Er benötigte einen hieb- und stichfesten Beweis für seinen Verdacht,
bevor er eine Untersuchung über die Manipulation der Akten einleiten durfte. Als der Papst Caprara und ihm die Causa Bartaszoly mit strikter Vorgabe des Ergebnisses der Untersuchung übergeben hatte, hatte ihm sein Instinkt gesagt, dass etwas an der ganzen Sache nicht stimmte. Sein Bauchgefühl schien ihn nicht getrogen zu haben, denn es stank etwas gewaltig in diesem Verfahren. Wenn ein Unbekannter tatsächlich vor ungefähr drei Monaten die Akten bearbeitet hatte, dann hätte derjenige bewusst die Dokumente so manipuliert, dass sie eine Heiligsprechung entweder ausschließen oder geradezu fordern würden. Obwohl er beide Ziele in Betracht ziehen musste, hielt er die Hypothese, dass der Fälscher die Heiligsprechung befördern wollte, für wahrscheinlicher.
    Als gefälschter Bestand wären die Akten für das Kanonisationsverfahren natürlich völlig wertlos. Er hoffte, durch die Expertise gezwungen zu sein, offiziell Ermittlungen einzuleiten. Und es ging hierbei um kein kleines Verbrechen, nicht um eine der üblichen Urkundenfälschungen, sondern um einen Betrugsversuch im Allerheiligsten. Der Fälscher konnte angesichts der Dimension des Verbrechens nur mit der Todesstrafe rechnen. Den Ergebnissen der Untersuchung durfte sich Albani nicht verweigern, denn die Fälschung konnte objektiv belegt werden. Sie war kein Gegenstand der Spekulation und Interpretation, sondern beruhte auf messbaren Fakten. Diejenigen also, die diese Dokumente bearbeitet hatten, um

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