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Und stehe auf von den Toten - Roman

Titel: Und stehe auf von den Toten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Verbrechen hielten. Besser sie sah nichts, doch dann wurde ihr bewusst, wie absurd der Gedanke war. Denen schien es egal zu sein, ob sie etwas mitbekam, was nur bedeuten konnte, dass man nicht vorhatte, sie jemals wieder laufen zu lassen.
    Ihr Verstand arbeitete jetzt ganz klar. Zwar wäre es schrecklich zu wissen, wie es zu Ende gehen würde. Aber
vielleicht nutzte ihr die Kenntnis des Schicksals, das man ihr zugedacht hatte, um sich zu retten. Sie riss die Augen auf und spitzte die Ohren, um sich nicht das kleinste Detail entgehen zu lassen. Alles konnte zu ihrer Rettung beitragen. Sie beschloss, nicht länger auf den Prinzen, der sie befreien würde, zu warten, sondern ihre Flucht selbst zu planen. Wie sagte doch ihr Bruder immer: Vor dem autonomen Geist hat kein Gefängnis Bestand. Freilich, der war auch Platoniker. Ihr Vater hingegen hatte sein Lebensmotto von dem römischen Anwalt und Berufskollegen Cicero übernommen: Fortes fortuna adjuvat: Den Mutigen hilft das Glück. Und sie war ganz die Tochter ihres Vaters.
    Zwei Knechte in grobem Hemd, Hose und Wams zogen ein junges nacktes Mädchen an den Armen über den Boden hinter sich her. Die Tote wirkte zerbrechlich wie Porzellan. Ihr ging das Aussehen des Mädchens nicht aus dem Sinn. Etwas war seltsam an ihr.
    Einer der Knechte kam auf ihren Käfig zu. Sie erschrak, aber er stellte ihr nur Rotwein und Blutwurst hin. »Iss das, und du bekommst auch Brot.« Dann ging er wieder.
    Wenn ihr Magen nicht leer gewesen wäre, hätte sie sich erbrochen. Der Würgereiz im Hals wollte noch eine Weile nicht nachlassen. Wenig später aber überwand sie sich und griff nach der Wurst. Sie aß sie Stück für Stück, Krümel für Krümel, auch wenn sie die Bissen lieber herausgespien als heruntergeschluckt hätte. Wenn die Flucht glücken sollte, musste sie bei Kräften bleiben und durfte nicht vom Fleisch fallen.
    Während sie sich wie eine Gans stopfte, wurde ihr plötzlich klar, was sie an der Toten so verwundert hatte: Sie hatte blutleer ausgesehen. Die purpurnen Flüsse waren
ausgetrocknet. Was hatten sie mit dem armen Mädchen nur angestellt? Sicher das Gleiche, was sie auch ihr zugedacht hatten. So weit durfte sie es nicht kommen lassen. Sie musste eine Möglichkeit zur Flucht finden. So schnell wie irgend möglich.

22.
    A lessandro Caprara ließ es sich nicht nehmen, Prospero höchstpersönlich aus dem städtischen Gefängnis zu befreien. Auf Drängen seines Hilfsauditors verfügte er zugleich die Freilassung des orthodoxen Priesters Wassilij. Prospero konnte es sich nicht verkneifen, den Wärter, als er die Zelle aufschloss, zu fragen, ob er den Papst von ihm grüßen solle, schließlich seien sie ja verwandt. Der Wärter erbleichte und bat den Monsignore vielmals um Verzeihung. Prospero wandte ihm demonstrativ den Rücken zu. Ein wenig Angst, ob da noch etwas nachkommen würde, konnte dem Wärter zur Strafe nicht schaden.
    Auf dem Weg zum La Grassa bekamen die beiden Angestellten der Rota nach geduldigem Befragen mühsam den Grund heraus, der Wassilij nach Rom verschlagen hatte. Ob er ihnen allerdings die Wahrheit gesagt oder hin und wieder gelogen hatte, entzog sich der Nachprüfung. Der Geistliche stammte seinen Angaben nach aus der Gegend von Upirov in Weißrussland. Eines Tages hatte er sich im Auftrag seiner Glaubensgemeinschaft auf den Weg gemacht, um zu missionieren und seinen Brüdern, wo immer sie auch lebten, zu helfen, das weiße Pferd zu reiten. Sie konnten mit dem Ausdruck »das weiße Pferd reiten« nichts anfangen, aber Wassilij weigerte sich, die mysteriöse Umschreibung zu enthüllen. Er war ein Skopze, was den beiden Katholiken ebenfalls nichts sagte und worüber sie auch von Wassilij beim besten Willen nicht mehr herausbekamen. Überhaupt tat der Russe mit allem sehr geheimnisvoll. Außer der Überzeugung, dass die Rettung der Welt vor den Werken des Satans allein auf den Schultern seiner
Bruderschaft lastete, war dem Sektierer nichts zu entlocken. Die Katholiken und die Protestanten hätten dabei jämmerlich versagt, stellte er abschließend fest.
    Prospero nahm sich vor, Velloni damit zu beauftragen, Recherchen über die Skopzen anzustellen.
    Auf seiner Wanderschaft durch Rumänien, Ungarn, Serbien und Istrien war Wassilij immer wieder auf Dörfer gestoßen, die verflucht waren, in denen Vampire ihr Unwesen trieben. Er hatte den verzweifelten Kampf der Bauern gegen diese Untoten erlebt, die ganze Familien und sogar Ansiedlungen auslöschten. Eine

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