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Und stehe auf von den Toten - Roman

Titel: Und stehe auf von den Toten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Spur von Geisterdörfern hatten diese Bestien in Siebenbürgen, im Banat, in der Dobrudscha, in Serbien und Istrien hinterlassen. Ihr Vorgehen verfolgte den immer gleichen grausamen Ritus. Nach Anbruch der Dunkelheit verließen sie ihre Gräber und überfielen die Menschen im Schlaf. Sie saugten ihnen das Blut aus. Wochen-, manchmal monatelang. Bis ihren Opfern kein Tropfen des Lebenselixiers mehr in den Adern floss. Aber diejenigen, die auf diese Weise starben, gingen nicht etwa zu Gott und fanden Erlösung in der Ewigkeit, sondern sie verwandelten sich in Untote, die ebenfalls jede Nacht aus ihren Särgen stiegen, um das Heer der Vampire noch zu vergrößern. So griff das Grauen um sich. Das Perfide daran aber war, dass die Opfer keinerlei persönliche Schuld an der Verdammnis trugen. Warum also hatte Gott sie aufgegeben?
    »Weil wir der Schlange dienen!«, erklärte Wassilij. »Mit Verführung kam Satan in die Welt. Wir alle schuldig. Keiner leidet unschuldig. Werdet zu Weißen Tauben, nehmt das kleine Siegel, und ihr verliert die Schlüssel zur Hölle.«
    Caprara indes schien sich nicht weiter für die mystischen Anwandlungen des Russen zu interessieren und lenkte das
Thema wieder auf die Untoten. Es existierte nur ein Mittel, so erfuhren sie, das gegen diese Landplage half. Man musste bei Tage ihre Gräber öffnen, ihnen einen Holzpfahl durchs Herz treiben und anschließend den Leichnam verbrennen. Der Auditor und sein Assistent warfen sich leicht echauffierte Blicke zu. Sollten sie sich etwa die Nächte um die Ohren schlagen, um Leichen zu fleddern? Prospero musste bei der Vorstellung, wie sie Tote ausbuddelten und Alessandro Caprara den Halbverwesten einen Holzpflock ins Herz schlug, wider Willen schmunzeln. Was für ein abscheulicher Aberglaube! Düster, skurril, slawisch eben.
    Wassilij beschwor die beiden Richter, so schnell als möglich die Gräber der Untoten zu finden und ihrem Treiben ein Ende zu bereiten, bevor sie die Herrschaft über Rom erlangten. Prospero ertappte sich bei der Vorstellung, dass Ganieri zu den Blutsäufern gehörte. Das würde zumindest vieles erklären. Dann schüttelte er innerlich lachend den Kopf über seine Geisterseherei. Ließ er sich jetzt schon vom puren Aberglauben eines russischen Sektierers einfangen?
    So sehr Prospero Lambertini und Alessandro Caprara an dem, was Wassilij ihnen radebrechend mitteilte, auch zweifelten, so konnten sie sich doch der logischen Stringenz der Interpretation nicht entziehen. Es bot eine Erklärung, die zwar unwahrscheinlich, aber dennoch plausibel war, weil sie keinem der bekannten Fakten widersprach. Und war es nicht das, was man Wissenschaft nannte, eine Erklärung zu finden, die den Fakten nicht widersprach? Konnte die Wissenschaft zu einem Ergebnis führen, das man eher dem weiten Felde der Spinnerei zuzurechnen pflegte?
    Weil sie nicht gesehen werden wollten, betraten sie das Wirtshaus nicht durch die Gaststube, sondern klopften am
Seiteneingang an. Caterina öffnete. Als die Männer an ihr vorbei eintraten, verzog sie das Gesicht und hielt sich demonstrativ die Nase zu.
    »Puh, du stinkst nach Kerker! Deine Sachen müssen dringend gewaschen werden«, rügte sie Prospero. Dann begrüßte sie Caprara und den Unbekannten, der ihr - ihrer skeptischen Mimik nach zu urteilen - höchst sonderbar vorkam.
    »Velloni und Graf Gonzaga warten schon auf euch.« Sie hatte die Klinke zur Tür, die vom Gang aus in die Gastwirtschaft führte, schon in der Hand, als Prospero sie stoppte. »Es ist besser, wenn uns keiner sieht und kein ungebetener Lauscher unser Gespräch verfolgen kann.«
    »Dann kommt in die Küche.«
    Sie führte sie an einen runden Tisch in einer Ecke, die der Verbindungstür zum Gastraum gegenüberlag und an dem sich die Familie zum Essen zu versammeln pflegte. Sie wies den Koch an, Valenti und Velloni aus der Wirtschaft hierher zu bitten, die Gäste zu verköstigen und auch für den Dottore ein Gedeck aufzulegen. Danach zog sie Prospero mit in den ersten Stock. Sie gab sich erst zufrieden, nachdem er seine Sachen ausgezogen und dafür Unterwäsche, Hose und Hemd eines ihrer Brüder angezogen hatte.
    »Jetzt siehst du wirklich wie mein Bruder aus und nicht mehr wie ein Priester!«, scherzte sie.
    »Ich bin aber Priester!«, erwiderte Prospero gespielt empört.
    »Leider, denn es ist offenbar ein sehr gefährlicher Beruf«, entgegnete Caterina jetzt wieder ernst. »Diesmal haben sie dich eingesperrt. Was werden sie das nächste Mal mit

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