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Und stehe auf von den Toten - Roman

Titel: Und stehe auf von den Toten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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und griff nach seinen Armen, um ihm
aufzuhelfen. Doch der Rabbiner wehrte ab. »Nein, lassen Sie. Bitte hören Sie mich an!« Valenti verdrehte die Augen, nickte dann aber, so unangenehm es ihm auch war.
    »Ich komme als Bittsteller in einer Ehrensache! Verzichten Sie auf das Duell mit meinem Schwiegersohn. Er bittet Sie um Entschuldigung. Wir, die Ältesten der jüdischen Gemeinden zu Rom, haben David von Fünen das Duell verboten. Und er muss sich daran halten. Erachten Sie ihn darob nicht als feige, und verzeihen Sie ihm. Ich bitte Sie als Vorsteher der Gemeinde, als Vater der Braut und als Ihr Freund, mein lieber Valenti. Ich habe wahrlich genug Leid gesehen, als dass es für viele Leben reichen würde. Machen Sie mich nicht zum Zeugen dieser Katastrophe, denn ich verliere einen Schwiegersohn oder einen Freund, wenn der unselige Zweikampf stattfinden würde. Sie sind ein mutiger Mann, seien Sie deshalb auch so mutig, auf die Genugtuung zu verzichten!«
    Graf Sylvio Valenti Gonzaga war so überrascht wie gerührt. Gern hätte er darüber nachgedacht, weil er sich überrumpelt fühlte, doch es beschämte ihn, dass der weise Jude, zu dem er aufblickte, vor ihm kniete wie ein Bettler. Ihn drängte es, so schnell wie möglich diesen Zustand zu beenden.
    »Ja, ja, ich verzichte ja schon auf die Satisfaktion, aber erheben Sie sich um Gottes willen. Erheben Sie sich, Verehrtester! Bestellen Sie dem Signor von Fünen, dass ich keinen Grund für den Waffengang sehe. Wenn er mir nicht Feigheit unterstellt, so will ich es umgekehrt auch nicht tun.« Valenti half dem Rabbiner beim Aufstehen, was dieser nun zufrieden geschehen ließ.
    Plötzlich musste der junge Graf lachen. Er begriff, dass er ausgetrickst worden war. »Teufel eins! Prospero Lambertini
und Sie, Sie sind ein unschlagbares Gespann. Nicht wahr? Ein Enkel aus dieser Zucht könnte den Lauf der Welt komplett ändern!« Er merkte, dass er mit dieser Bemerkung zu weit gegangen war. Nie würden Prospero und Deborah gemeinsame Kinder haben. Der Graf errötete vor Scham. »Verzeihung, Signor, Verzeihung. Ich hab mich hinreißen lassen.«
    Der Rabbiner hob in unnachahmlicher Schicksalsergebenheit die geöffneten Hände in die Luft und legte die Stirn in Falten. »Nun ja, Gott hat so entschieden. Wie könnten wir zweifeln an der Weisheit des Höchsten?«
     
    In die Kirche Santa Maria della Pace, genauer gesagt in die Chigi-Kapelle, kam der Graf immer, wenn er nicht mehr weiter wusste oder sich im heftigen Zwiespalt befand. Die Begegnung mit der Gräfin Stamitz ließ ihn nicht mehr los. Nicht vor der Frau fürchtete er sich, sondern vor sich selbst, vor dem heißen Blut der Gonzagas. Höchste Zeit also, Zwiesprache mit Gott zu halten.
    Wenn man sich die Zeit nahm, nicht durch den Haupteingang, sondern durch den Kreuzgang die Kirche zu betreten, dann öffneten sich einem die Tore zu einer anderen, einer besseren Welt.
    Er liebte diesen Gang, dem nichts Enges anhaftete, sondern der mit seiner Klarheit und zugleich Verspieltheit die Ungebundenheit des Geistes feierte. Der große Donato Bramante hatte den zweistöckigen Innenhof als einen Ort der Freiheit geschaffen. Pilaster, die an ionische Säulen erinnerten, verzierten die Pfeiler der Arkaden. Das Lichte und Luftige der Anlage zerstob wie mit einem Zauberstab die ganze Kleinlichkeit und die Beschwernisse der Welt. Nichts Schöneres existierte für Valenti, als von Bramantes
Kreuzgang aus die Sakristei zu betreten und von dort aus die Capella Chigi aufzusuchen.
    Aber noch etwas anderes hatte hier sein Herz im Sturm erobert. Ein Fresco von Raffaels Hand, das die Sibyllen zeigte und die Engel, die den weisen Frauen die Prophezeiungen eingaben. In die Tiburtinische Sibylle hatte er sich regelrecht verliebt. Sie symbolisierte die Weisheit, den Intellekt. Einst hatte sie dem mächtigsten Mann der Welt, Kaiser Augustus, geweissagt, es werde ein Kind geboren werden, das mächtiger sein würde als er, nämlich Jesus Christus.
    Rechts auf dem Fresko lehnte die prophetische Frau aus dem heutigen Tivoli beinah lässig an einem Bogen und blickte zu einer Tafel, die ihr ein Engel entgegenhielt. Auf der Tafel stand das Orakel verzeichnet. Er verehrte diese junge Frau von ganzem Herzen, weil sie nicht dem Genre entsprechend entrückt wirkte, sondern eine normale Römerin zu sein schien, mit streng hinter die Ohren gekämmten Haaren. Durch den harten Mittelscheitel kam das rundliche, fast ein wenig derbe Gesicht zur Geltung, die

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