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Und stehe auf von den Toten - Roman

Titel: Und stehe auf von den Toten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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mandelförmigen Augen, aus denen Vorsicht und Skepsis sprachen. Das war es im Grunde, was ihn begeisterte, die Nüchternheit, die Zurückhaltung, die vom gesunden Menschenverstand ausging, das Irdische in Betrachtung des Überirdischen, wobei es sich nicht weihevoll unterwarf, sondern sich die Freiheit herausnahm, kritisch zu prüfen. Deshalb fragte er nun die Sibylle um Rat, ob er zu dem Ausritt mit der Gräfin gehen oder sich besser entschuldigen lassen sollte. Der Teufel hatte es höchstpersönlich darauf angelegt, ihn zu verführen, wie einst den heiligen Benedikt von Nursia im Gebirge. Dieser war dem Satan nur entkommen, indem er seinen sündigen Körper so
lange in die Disteln geworfen hatte, bis der Schmerz die Lust ausgebrannt hatte.
    Die Tiburtinische Sibylle schwieg. Es musste auch ohne Disteln gehen, entschied Valenti. Unmöglich für einen Gonzaga, nicht zu siegen, unmöglich, der Begegnung auszuweichen und feige die Verabredung abzusagen. Er wollte den Kampf gegen sich selbst wagen. Also kniete er vor dem Hauptaltar nieder, um vor dem Bild der Madonna zu beten, dass sie ihm die Kraft verliehe, das heiße Blut der Gonzagas zu bezwingen und der Verführung zu widerstehen wie der heilige Benedikt vor ihm. Der Legende nach hatte das von Carlo Maderno geschaffene Altarbild einmal geweint, als ein Stein nach ihm geworfen worden war. Es galt seitdem beim Volk als Wunder wirkend.

28.
    P rospero schwirrte immer noch der Kopf von dem Tic des Präfekten, als er endlich an die Tür des Rabbiners klopfte. Deborah öffnete, und ihr Anblick zauberte ein erleichtertes Lächeln auf seine Lippen.
    »Wenn du zu meinem Vater willst, muss ich dich leider enttäuschen. Er ist bei Valenti.«
    Prospero schüttelte nur den nassen Kopf. Ein paar Tropfen fielen dabei auf ihr Gesicht, und sie wischte sie mit einer sanften Handbewegung weg.
    »Na komm erstmal rein.« Sie führte ihn in das Wohnzimmer und bot ihm einen Platz an. Es tat so gut, bei Deborah zu sein. Am liebsten wäre er einfach nur schweigend sitzen geblieben, um sie anzuschauen und wie ein Hase mit offenen Augen zu träumen.
    »Kann ich dir helfen?«
    »Ja, ich meine, nein. Ich muss mit dem Signor von Fünen reden.«
    »Was willst du von ihm?«, fragte sie scharf. Ihr Gesicht nahm einen distanzierten Ausdruck an. Er hatte sich auf verbotenes Terrain vorgewagt und musste nun besonders vorsichtig sein.
    »Ich habe nur ein paar Fragen.«
    »Was für Fragen?«
    Er hatte nicht vor, mit der Frau, die er liebte, über ihren Bräutigam zu diskutieren. »Zu einem Fall«, wiegelte er ab, erreichte aber damit nur das Gegenteil. Zwei wache Augen, in die sich Misstrauen geschlichen hatte, fokussierten ihn. Er spürte, dass sich der Prager Rabbinersohn zwischen sie gedrängelt hatte und sie in einem Konflikt wohl
seine Partei ergreifen würde. Diese Vorstellung schmerzte. Ach Deborah, was macht das Leben bloß aus uns?, dachte er traurig, während sie mit kalter Stimme weiterfragte: »In welchen Fall könnte David verwickelt sein, dass du ihn verhören musst?«
    »Es geht um keine Verwicklung und auch um kein Verhör. Es handelt sich lediglich um eine Aussage. Keine große Sache. Ich erwarte ihn morgen um neun Uhr in der Cancelleria.«
    »Willst du mir nicht sagen, worum es geht?«, bat sie. Ihre Stimme war wieder sanft, und sie wirkte jetzt sehr ernst. Er wusste, dass es ein Fehler wäre, ihr von den vermissten Mädchen zu erzählen, dennoch konnte er ihren Wunsch nicht ignorieren. Prospero hatte seinen kurzen Bericht kaum beendet, da schüttelte Deborah den Kopf. »Wie kommst du bloß auf den Gedanken, David in diesem Fall verhören zu wollen?«, fragte sie tadelnd, als wäre es in der Tat das Dümmste und Gemeinste, was man sich ausdenken könnte.
    »Darüber kann ich mit dir nicht reden!«
    »Du kannst oder du willst nicht?«
    Vor allem wollte er diese Frage nicht beantworten. Ihr Gesicht nahm wieder diesen abweisenden Ausdruck an, der ihn provozierte, weil er deutlich machte, wie fern sie einander inzwischen waren. Wenn sie ihn mit diesem Blick anschaute, glaubte er eine Fremde vor sich zu haben. Sie schwiegen. Man hörte das Wickelkind drei Häuser weiter schreien. Beide lauschten sie dem Kindergeschrei, das schwächer wurde und bald in anderen Geräuschen unterging. Schließlich meinte sie nachdenklich: »Oder bist du etwa eifersüchtig?«
    »Was hat das eine mit dem anderen zu tun?«, wehrte er ab.

    »Vielleicht sogar alles?«
    »Es ist doch ganz einfach. Er beantwortet

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