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Und stehe auf von den Toten - Roman

Titel: Und stehe auf von den Toten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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rufen.
    »Stimmt«, gab Benjamin dem Kollegen Recht. »Manche Wasserleichen werden uns zerbrechen, bei anderen werden wir kaum noch etwas erkennen können. Lassen Sie uns gemeinsam mit den Leichen anfangen, die im besten Zustand sind.« Fermi nickte.
    »Die letzte Vermisste ist Francesca«, sagte Prospero und bat sie und ihren Vater Marcello stumm um Verzeihung.
    Sie wollten gerade anfangen, da hörten sie, wie sich jemand mit ohrenbetäubendem Lärm dem Kellerraum näherte. Der Klang seiner Stiefel hallte in dem tunnelartigen Kellergang wider. Sie schauten sich fragend an, denn der Besucher trug vernehmbar Eisen unter seinen Sohlen.
    »Der gespornte Teufel. Hab mich schon gefragt, wann er uns endlich besucht«, spottete Fermi.
    »Diabolo!«, quetschte Pepe durch die Zähne. Er schien zu hoffen, dass es der Mörder war, damit er mit ihm abrechnen könnte. Prospero verstand den Katalanen nur zu gut. Dann überlegte er, ob das Kreuz oder das Messer im Notfall hilfreicher sein würde und griff zum Knauf des Dolches. Die Augen der fünf Männer und des Pathologiegehilfen
richteten sich gespannt auf den Eingang der Morgue. Was man hochtrabend Eingang oder Tür nannte, stellte eigentlich nur eine Unterbrechung in der Wand dar. Die Toten konnten nicht weglaufen, und freiwillig kam kein Mensch hierher. Beschläge klackten mit der rhythmischen Regelmäßigkeit marschierender Soldaten auf den Boden. Prospero blickte zu Velloni. Der Philologe stand da und hielt mit Entschlossenheit seine Feder in die Höhe, als trüge er eine Rüstung und hätte ein Beidhänder in der Hand. Der Anblick rührte ihn. Wenn es tatsächlich der Vampir sein sollte, dann würde Prospero darauf achten müssen, dass der Philologe nicht auf das Ungeheuer losging, um ihm die Schreibfeder ins Herz zu treiben.
    Auf den Boden vor dem Eingang fiel der Schatten des nächtlichen Besuchers. Angespannt warteten alle darauf, dass das unheimliche Geräusch sich materialisieren würde.
    Eine mittelgroße Gestalt, vom Hut bis zu den Stiefeln in schwarz gewandet, eine runde Hornbrille mit dicken Gläsern auf der langen Nase, die sich aus einem schmalen, fleckigen Gesicht erhob, trat durch den Eingang und stellte behutsam einen riesigen Koffer ab. Der Mann wirkte wie der Kardinalstaatsekretär des Todes. Ohne ein Wort zu verlieren, musterte er ruhig und professionell eine Leiche nach der anderen. Seine Miene verriet nicht die kleinste Gefühlsregung. Prospero glaubte zu träumen. Wer war die absonderliche Gestalt? Scheinbar standen alle im Raum Anwesenden wie unter einem Bann, denn keiner traute sich zu fragen. Vielleicht war das Ganze auch nur eine Halluzination.
    »Leopoldo Lacriano«, stellte die Halluzination sich wie nebenbei vor und entblößte dabei ihre Zahnstummel. Sie waren so schwarz wie die Kleidung des Mannes.

    »Wer bezahlt Sie denn?«, fragte Fermi, der den merkwürdigen Kerl offensichtlich kannte.
    »Die bedauernswerten Väter haben zusammengelegt. Sie wollen, dass ihre Töchter so gut wie möglich aussehen, wenn sie beerdigt werden.«
    »Sie müssen sich gedulden!«
    »Ich weiß. Die guten Leute haben mich ordentlich bezahlt. Aber wenn ich mir das hier so ansehe, dann werde ich doch an die Grenzen meiner Kunst geraten. Ich tu, was ich kann!« Lacriano nahm seinen Koffer und suchte sich eine Ecke, wo er den Kasten aufklappte. Danach begann er routiniert sein Werkzeug herauszunehmen. Zangen, Nadeln, Skalpelle, Bohrer, Pinzetten, Fläschchen und Phiolen kamen zum Vorschein. Prospero kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Fermi raunte ihm zu, dass Lacrianos Arbeit darin bestand, die Toten zu verschönern, eine Art Raffael der Verblichenen. Für gewöhnlich entstammte seine Kundschaft dem Adel, auch hatte er dem vom Todeskampf gezeichneten Gesicht Papst Innozenz XII. für die Aufbahrung zu einem freundlichen und vor allem gelösten Ausdruck verholfen, wie es einem Stellvertreter Christi zukam, der unmittelbar davorstand, dem Herrn zu begegnen.
    »Fangen wir also mit Francesca an!«, sagte Fermi.
    »Länger als zwei bis drei Tage ist sie noch nicht tot. Die Fäulnis hat gerade eingesetzt«, stellte Benjamin mit leiser Stimme fest.
    »Die Hautfarbe ist unnatürlich bleich, die Totenflecken geringer, als man erwarten dürfte. Was denken Sie, Herr Kollege?«
    Benjamin schüttelte den Kopf. Er ging einmal um die Leiche herum und untersuchte die Handgelenke. »Hätte ich
eine Selbstmörderin vor mir, würde ich denken, sie hätte sich die Pulsadern

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