Und stehe auf von den Toten - Roman
Aufgaben zu erfüllen, hatte er diese nur als Vorwand für ein Schäferstündchen genutzt. Was hatte er denn herausgefunden? Nichts! Weder über das Treiben der Vampire in den Habsburger Landen noch über Poelschau und den Grund seines Aufenthaltes im Stadtgefängnis, aus dem ihn ausgerechnet Cavalcanti befreit hatte. Außer einem gebrochenen Keuschheitsgelübde war nichts dabei herausgesprungen. Zum ersten Mal in seinem Leben schämte sich Sylvio Valenti Gonzaga für etwas. Schlimmer als das Versagen selbst brannte der Grund dafür auf seiner Seele, denn der bestand in nichts anderem als Eitelkeit. Aus der einen Todsünde, der Superbia, folgte
die zweite, die Luxuria, die Wollust. Und das Feuer der Scham, das nun in ihm brannte, war nur ein Vorgeschmack auf die Hölle.
Valenti wollte sich nicht länger mit sich selbst und seinen Sünden beschäftigen, und er hatte auch Wichtigeres zu tun. Er musste Prospero finden und seinen Freunden zur Seite stehen. Gioacchino wusste nur, dass Prospero mit Pepe zur Posterule Tiberine in der Nähe der österreichischen Gesandschaft aufgebrochen war, um die Leichen zu bergen.
Als Valenti außer Atem dort ankam, traf er niemanden mehr an. Es war dunkel, es war still, und der Regen prasselte traurig auf die menschenleere Straße. Das Hochwasser stand bereits in dem Tor zum Tiber. Er kam gar nicht näher heran. Mitten auf dem Fluss meinte er ein flaches, breitbäuchiges Boot zu bemerken, wie es die kleinen Händler benutzten. Es schien von Trastevere zu kommen und auf die Gesandschaft zuzuhalten. Gleich würde es rechts in seinem toten Winkel verschwinden.
Das Boot erregte seine Neugier. Wer war um diese Zeit und bei diesem ungemütlichen Wetter noch auf dem Fluss unterwegs? Das kam ihm verdächtig vor. Schließlich war es lebensgefährlich. Mit gerümpfter Nase watete er Schritt für Schritt in das Hochwasser hinein, um das Boot im Auge zu behalten. Die Hose war bald triefnass und klebte kalt an seinen Beinen. Er begann zu zittern. Inzwischen stand ihm der Fluss bis zur Taille. Es half nichts, er musste noch weiter hineinlaufen, wenn er herausfinden wollte, wo der Kahn schließlich anlegen würde. Valenti erreichte den Baum, der, wie er sich erinnerte, auf einer kleinen Uferzunge stand. Dahinter begann das eigentliche Flussbett. Tiefen und Untiefen wechselten sich im Tiber heimtückisch ab. Weiter
durfte er also nicht gehen, wenn er nicht riskieren wollte, plötzlich zu versinken.
Aber das war zum Glück auch gar nicht nötig. Dank der Uferzunge, die in den Fluss hineinragte, hatte er jetzt freie Sicht. Tatsächlich legte das Boot an der Hinterfront des düsteren Gesandtschaftspalastes an. Drei Männer, einer davon hochgewachsen und zwei eher gedrungen, mit hängenden Armen und gebückter Haltung, stiegen aus. Einer der affenartigen Kerle vertäute das Boot.
Valenti watete zurück zur Via Giulia. Ungeachtet der triefenden Hose und des durchweichten Justacorps lief er in Richtung des Ponte Quattro Capi. Plötzlich stand er vor einem großen See, aus dem grau und trist wie Felsen Häuser ragten. Der Teil des jüdischen Ghettos, der sich zum Tiber neigte, war überschwemmt. Das war insofern nichts Besonderes, als dass es immer mal wieder vorkam. Dennoch bedeutete das Wasser Gefahr, weil es die Häuser unterspülte. Der Papst hatte die Juden ins Ghetto gezwungen, ihnen aber nicht genug Wohnraum überlassen. Nun wuchsen zwar die Familien, aber die Wohnungen vermehrten sich nicht, so dass Stockwerk um Stockwerk auf die Häuser gesetzt wurde. Zahllose An-, Um- und Aufbauten wurden vorgenommen, ungeachtet der Statik. Diese ungeordnete Ausbautätigkeit hatte die Häuser im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte in lebensgefährliche Fallen verwandelt, und es war ein Wunder Gottes, dass sie nicht schon längst in sich zusammengebrochen waren. Kam jetzt allerdings das Hochwasser hinzu, konnte man mit Einstürzen rechnen. Außerdem folgten dem Wasser mit tödlicher Sicherheit die Seuchen: Ruhr und Diphtherie.
Valenti machte fluchend kehrt und eilte zum Ponte Sisto, um über den Tiber nach Trastevere hinüberzukommen.
Dann rannte er die Via della Lungara entlang bis zum Ponte Cestio. Diese Brücke führte auf die Tiberinsel, und von dort aus erreichte man über den Ponte Quattro Capi, der wie eine Verlängerung des Ponte Cestios wirkte, das Ghetto im Rione San Angelo. Normalerweise zumindest.
Valenti ließ die Brücke links liegen, weil sie ins Hochwasser führte, und ging auf der Insel zum
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