Und taeglich grueßt die Evolution
immer stärker die bewaldeten Habitate verdrängten, bedeutete dies für die Hominiden einen Überlebensvorteil. Bei den Schimpansen, auf deren Beobachtung sich viele Erklärungsmodelle zur Entstehung der Bipedie stützen, ist der vierbeinige Knöchelgang auf dem Boden noch heute deutlich energieaufwendiger als das Klettern.
Hypothesen über die Entstehung des aufrechten Gangs
Der Berliner Anthropologe Carsten Niemitz geht davon aus, dass der aufrechte Gang seinen Ursprung im seichten Wasser hat. Im Ufer- und Küstenbereich wateten unsere Vorfahren demnach auf der Suche nach proteinreicher Nahrung durchs Wasser. Lange Beine und aufrechter Gang erwiesen sich dabei als vorteilhaft, da der Körper aus dem Wasser ragte, das Gewicht auf den Füßen lastete und der Fließwiderstand herabgesetzt war. Owen Lovejoy von der Kent State University im US-Bundesstaat Ohio wiederum meint, dass die Bipedie aufgrund ihrer Langsamkeit und der erhöhten Verletzungsgefahr eine eher unvorteilhafte Art der Fortbewegung sei, die allerdings andere Vorteile hatte. Nach seiner Überzeugung konnten die Männchen ihre Partnerin und den Nachwuchs effizienter mit Nahrung versorgen, wenn sie die Hände zum Tragen einsetzten. Die Partnerin war in der Lage, sich intensiver um den Nachwuchs zu sorgen und mehr Nachkommen zur Welt zu bringen, das Männchen hatte im Gegenzug die Möglichkeit des kontinuierlichen sexuellen Zugangs und sicherte durch diese monogame Beziehung das Überleben seines eigenen Nachwuchses.
Das »thermoregulatorische Modell« des Evolutionsbiologen Peter Wheeler von der Universität Liverpool beruht auf der Annahme, dass ein aufrecht stehender Körper besseren Wind- und Temperaturbedingungen ausgesetzt ist. Der Wind führt Hitze ab, während sich die von der Sonne direkt bestrahlte Körperoberfläche um 60 Prozent verringert – ein Vorteil gegenüber Vierbeinern. Für Wheeler ergibt sich daraus auch die Reduzierung der Körperbehaarung: Da durch den aufrechten Gang nur noch Kopf und Schultern abgeschirmt werden mussten, konnten unsere Vorfahren auf Körperhaar zunehmend verzichten, das nicht nur der Wärmespeicherung diente, sondern auch vor zu viel Wärme schützte. Eine erfreuliche Begleiterscheinung war, dass eine effektivere Schweißabsonderung für bessere Kühlung und reduzierten Wasserbedarf sorgte.
Entstehung der Bipedie im Blätterdach
Nach der Überzeugung des Anthropologen Kevin Hunt entwickelte sich die Bipedie bei der Nahrungssuche im Waldland und nicht primär, um sich auf eine neue Art und Weise fortzubewegen. Bei Schimpansen kann man beobachten, dass sie sich sowohl auf dem Boden als auch auf Ästen auf ihre Hinterbeine stellen, um nach Früchten in den Bäumen zu greifen. Dadurch ernten sie auch höher wachsende und somit insgesamt mehr Früchte. 80 Prozent der beobachteten Bipedie bei Schimpansen ist ernährungsbedingt. Trifft Hunts Analogieschluss zu, war der Nutzen der bipeden Nahrungsbeschaffung den Hominiden schon lange bekannt, als sie die Bäume verließen. Gemäß der Devise »erst stehen, dann gehen« entwickelten sie das Aufrichten der Schimpansen, eine Frühform der Bipedie, lediglich zu einer Fortbewegungsweise weiter.
Erklärungsmodelle, die die Entstehung des aufrechten Gangs mit dem Akt des Tragens in Verbindung bringen, müssten hingegen die Frage beantworten, unter welchen Bedingungen Zweibeinigkeit ein Vorteil gewesen sein könnte. Die Kinder unserer frühen Vorfahren klammerten sich wahrscheinlich ebenso an das Fell ihrer Mutter, wie es heute noch junge Schimpansen tun. Der Verlust des Greif-Fußes hatte also eher negative Auswirkungen auf die Kinderaufzucht, weil die Mütter ihre Jungen nun so lange tragen mussten, bis sie alt genug waren, um eigenständig zu laufen. Außerdem ist pflanzliche Nahrung oft relativ kleinteilig und damit schwierig zu transportieren. Welchen Grund sollte es also geben, Nahrung mit sich zu führen, wenn bereits das Sammeln länger dauert als der eigentliche Verzehr?
Raus aus dem Wald: Die »East Side Story«
Die »Savannen-Hypothese«, nach der sich die Entwicklung des aufrechten Ganges erst im offenen Grasland entwickelte, gilt inzwischen als widerlegt. Umweltrekonstruktionen von Hominidenfundstellen weisen darauf hin, dass unsere frühen Vorfahren zunächst in bewaldeten Habitaten lebten. Obwohl ihre Vorderextremitäten noch gut an das Klettern angepasst waren, bildeten sie schon dort die Zweibeinigkeit aus. Kleinere offene Flächen konnten sie aufrecht
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