Und tot bist du
Henry leise. Lillian Wests bewegtes Leben gab Anlaß zu den schlimmsten Vermutungen.
»Ich habe mich danach erkundigt, Sir. Er antwortete, inzwischen fühle er sich wieder pudelwohl. Allerdings habe er während der letzten Wochen, in denen Ms. West bei ihm war, an ungewöhnlicher Müdigkeit gelitten. Die Ärzte seien nicht in der Lage gewesen, eine Diagnose zu stellen, und schließlich sei er an einer Lungenentzündung erkrankt.«
Auch Tommy hatte eine schwere Erkältung und starke Müdigkeit erwähnt. Henry umklammerte das Telefon.
»Gut gemacht, Marvin. Vielen Dank.«
»Sir, ich befürchte, das ist noch nicht alles. In den Akten heißt es weiterhin, daß Ms. West Hobbyjägerin ist und offenbar gut mit Waffen umgehen kann. Außerdem habe ich mit dem Direktor des Wren Colleges gesprochen, wo sie zuletzt unterrichtete. Er erzählte mir, Ms. West sei die Kündigung nahegelegt worden. Sie habe Symptome einer psychischen Erkrankung gezeigt, sich aber geweigert, einen Therapeuten aufzusuchen.«
Nachdem Henry das Telefonat mit seinem Assistenten beendet hatte, befiel ihn Angst. Sunday befand sich auf dem Weg zu Lillian West und hatte keine Ahnung von dem, was Marvin herausgefunden hatte. Möglicherweise würde sie die Haushälterin unwissentlich warnen, wenn sie von ihrem Verdacht sprach, ein anderer als Shipman könnte Arabella auf dem Gewissen haben. Schwer zu sagen, wie Lillian West darauf reagieren würde. Henrys Hand hatte bei Gipfeltreffen nie gezittert. Doch jetzt schaffte er es kaum, die Nummer von Sundays Autotelefon einzutippen.
Sicherheitsbeamter Art Dowling meldete sich. »Wir sind jetzt vor Mr. Shipmans Haus, Sir. Mrs. Britland ist drinnen.«
»Holen Sie sie raus«, befahl Henry. »Sagen Sie ihr, ich muß mit ihr sprechen.«
»Wird gemacht, Sir.«
Kurz darauf war Dowling wieder am Apparat.
»Sieht aus, als hätten wir ein Problem, Sir. Wir haben mehrmals geläutet, aber niemand macht auf.«
Sunday und Tommy saßen nebeneinander auf der Ledercouch in der Bibliothek und blickten starr in die Mündung eines Revolvers. Lillian West thronte ihnen aufrecht und reglos gegenüber und hielt die Waffe auf sie gerichtet. Das Schrillen der Türglocke schien sie nicht weiter zu stören.
»Bestimmt ist das Ihre Palastwache«, spöttelte sie.
Die Frau ist wahnsinnig, dachte Sunday, während sie der Haushälterin in die Augen sah. Sie ist verrückt und völlig verzweifelt. Sie weiß, daß sie nichts mehr zu verlieren hat.
Und sie ist übergeschnappt genug, um uns zu erschießen.
Sunday überlegte, was Art Dowling und Clint Carr, ihre Leibwächter, wohl unternehmen würden, wenn niemand öffnete. Wahrscheinlich würden sie die Tür aufbrechen.
Und wenn sie das tun, würde Lillian Tommy und sie ganz sicher töten. Sundays Angst wuchs.
»Sie haben alles«, sagte Lillian West mit leiser, zorniger Stimme zu Sunday und fixierte die Gefangene mit den Augen. »Sie sind schön, Sie sind jung, Sie haben einen interessanten Beruf und einen reichen, gutaussehenden Mann. Hoffentlich hatten Sie eine schöne Zeit mit ihm.«
»Ja«, antwortete Sunday. »Er ist ein wundervoller Mensch und Ehemann, und ich möchte noch lange mit ihm zusammenbleiben.«
»Da haben Sie Pech gehabt, und daran sind Sie selbst schuld. Nichts wäre passiert, wenn Sie sich nicht eingemischt hätten. Welche Rolle spielt es schon, ob er« – Lillian West warf einen kurzen Blick auf Tommy –, »ins Gefängnis wandert? Er ist die Mühe nicht wert, denn er ist ein schlechter Mensch, der mich belogen und betrogen hat.
Er hat versprochen, mich nach Florida mitzunehmen. Er wollte mich heiraten.« Wieder hielt sie inne und funkelte den ehemaligen Außenminister wütend an. »Natürlich ist er nicht so reich wie die anderen, aber es genügt für ein angenehmes Leben. Das weiß ich, weil ich seine sämtlichen Papiere durchgesehen habe.« Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. »Und er ist auch netter als die anderen. Das hat mir besonders gut gefallen. Wir wären sehr glücklich geworden.«
»Lillian, ich habe Sie nicht belogen«, wandte Tommy ruhig ein. »Wenn Sie sich genau an das erinnern, was ich zu Ihnen gesagt habe, werden Sie mir recht geben. Aber ich mag Sie, und ich glaube, daß Sie Hilfe brauchen. Ich werde mich darum kümmern. Und ich verspreche Ihnen, daß Sunday und ich alles Menschenmögliche für Sie tun werden.«
»Wollen Sie mir wieder eine Stelle als Haushälterin vermitteln?« zischte Lillian. »Putzen, kochen, einkaufen.
Nein danke!
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