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Und tot bist du

Und tot bist du

Titel: Und tot bist du
Autoren: Mary Higgins Clark
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einen Tagtraum versunken war. Sunday, die Frau, mit der er seit knapp einem Jahr verheiratet war, befand sich in ihrer Eigenschaft als Kongreßabgeordnete in Washington, und Henry erschienen die drei Tage bis zu ihrer Rückkehr wie eine Ewigkeit.
    Wie immer vermißte er sie sehnsüchtig. Sunday – ein einzelner Mensch konnte doch unmöglich so schön, klug, witzig und einfühlsam sein. Manchmal glaubte er fast, er habe sie nur geträumt: Sunday, die schlanke, blonde Kongreßabgeordnete, mit der er aus einer Laune heraus an seinem letzten Abend im Weißen Haus einen Flirt angefangen hatte. Lächelnd erinnerte er sich an ihre gelassene, fast tadelnde Reaktion.

    »Äh, das Oval Office, Mr. President«, riß ihn Kleins beharrliche Stimme aus seinen Phantasien.
    Henry griff zum Hörer. »Mr. President«, begrüßte er seinen Amtsnachfolger freundlich.
    Er stellte sich vor, wie Desmond Ogilvey, der bei seinen Freunden nur Des hieß, an seinem Schreibtisch saß. Des wirkte mit seinem weißen Haarschopf, der hageren Figur, der aufrechten Haltung und dem nüchternen, dunkelblauen Geschäftsanzug wie ein Wissenschaftler.
    Henry wußte, daß Des nie vergessen hatte, wie ihn sein Vorgänger vor neun Jahren aus einem Dasein als relativ unbekannter Kongreßabgeordneter aus Wyoming herausgeholt und zum Vizepräsidenten gemacht hatte. Die Medien hatten diese Entscheidung anfangs kritisiert und sie als Vabanquespiel bezeichnet.
    »Sie mögen es vielleicht so sehen«, hatte Henry ruhig widersprochen, »aber schließlich sitzt dieser Mann schon seit zwanzig Jahren im Kongreß und war an der Verabschiedung wichtiger Gesetze beteiligt. Wenn die amerikanischen Wähler mir ihre Stimme geben, kann ich, falls mir etwas zustoßen sollte, ruhigen Gewissens vor meinen Schöpfer treten. Denn ich bin überzeugt, daß sich dieses Land, das ich so sehr liebe, dann in den fähigsten Händen befindet.«
    Als Henry bemerkte, daß das Schweigen am anderen Ende ungewöhnlich lange dauerte, fragte er.
    »Des?«
    »Mr. President«, antwortete Desmond Ogilvey, doch seine Stimme klang nicht so fröhlich wie sonst.
    Henry wurde klar, daß Ogilvey nicht zum Plaudern aufgelegt war, und kam sofort auf den Punkt: »Gibt es ein Problem, Des?«

    Wieder eine Pause. »Es geht um Sunday, Henry. Es tut mir so leid«, sagte Des schließlich.
    »Sunday!« Henry stockte der Atem. Er fühlte sich, als wäre sein Herz stehengeblieben, und er saß da wie versteinert.
    »Henry, ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Die Lage ist ziemlich ernst. Sunday ist verschwunden.
    Ihre Leibwächter und die Eskorte wurden bewußtlos in ihren Wagen aufgefunden. Offenbar hat man sie unter Betäubungsmittel gesetzt. Als die Beamten wieder zu sich kamen, war Sunday weg.«
    »Ist das Motiv schon bekannt?« Henry zwang sich, ruhig durchzuatmen. Er bemerkte, daß Marvin ihn anstarrte.
    Gleichzeitig drückte er auf den Knopf der Gegensprechanlage, die ihn mit den Leibwächtern draußen vor dem Haus verband.
    »Wir glauben, schon. Kurz darauf ging in der Telefonzentrale des Finanzministeriums ein Anruf ein. Der Mann behauptete, Sunday in seiner Gewalt zu haben oder zumindest zu wissen, wo sie sich befindet. Sie können uns bestätigen, ob er die Wahrheit sagt: Hat Sunday einen gro
    ßen Bluterguß am rechten Oberarm, dicht unterhalb der Schulter?«
    Henry nickte. »Ja«, flüsterte er dann.
    »Also stimmt es. Offenbar hat sie die Verletzung ihren Mitarbeitern gegenüber nicht erwähnt, denn alle bestätigen, sie wüßten nichts davon.«
    »Als wir letzten Sonnabend ausgeritten sind, wurde sie abgeworfen«, erklärte Henry. Er dachte an die Angst, die ihn in diesem Augenblick ergriffen hatte. Doch verglichen mit der lähmenden Sorge, die er nun empfand, war das eine Kleinigkeit gewesen. Inzwischen hatten sich die fünf Leibwächter um seinen Schreibtisch versammelt. Er nickte Jack Collins, dem Leiter der Einheit, zu und bedeutete ihm mitzuhören. Der zweite Apparat stand auf dem Tisch neben dem dunkelroten Ledersofa.
    »Collins ist jetzt am Nebenanschluß«, sagte Henry.
    »Sunday lernt gerade reiten. Nach dem Sturz hat sie gewitzelt, sie dürfe niemandem davon erzählen. Sonst würde die Klatschpresse noch behaupten, daß ich meine Frau schlage.« Ihm fiel auf, daß er abschweifte. Er mußte sich konzentrieren. »Des, wieviel Geld verlangen sie? Ich werde bedingungslos auf alle Forderungen eingehen.«
    »Leider kommt es ihnen nicht auf Geld an, Henry. Sie drohen, wir könnten den
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