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Und tot bist du

Und tot bist du

Titel: Und tot bist du
Autoren: Mary Higgins Clark
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sie. Das Licht reichte gerade, daß sie im abgestoßenen, beschlagenen Spiegel erkennen konnte, wie bleich und mitgenommen sie aussah.
    Sie wollte sich schon abwenden, als sie bemerkte, daß sich etwas an ihrem Äußeren verändert hatte. Was war es?
    Es dauerte einen Moment, bis ihr klar wurde, daß der Entführer ihr an der linken Seite ungeschickt eine Haarsträhne abgeschnitten hatte.
    Warum hat er das getan? fragte sie sich.
    Das Frösteln, das Sunday überfiel, hatte nichts mit dem kalten Raum zu tun. Ihr Entführer wirkte absolut seltsam, schien fast wie ein Roboter darauf programmiert, Anweisungen präzise auszuführen. Nur, daß er anscheinend von niemandem Befehle erhielt. Wer war er und was versprach er sich von ihrer Entführung?
    Es klopfte. »Ich würde vorschlagen, daß Sie sich beeilen, Frau Abgeordnete. Gleich kommt eine Sendung, die Sie bestimmt interessieren wird.«
    Sunday stieß die verbeulte Tür auf. Der Mann in der Mönchskutte bot ihr fast höflich den Arm. »Ich will nicht, daß Sie hinfallen«, sagte er.
    Als Sunday mühsam durch den Keller schlurfte, glaubte sie den Duft gebratenen Specks zu riechen. Hielt sich jemand oben im Haus auf? Sie hatten den Stuhl erreicht, und der Mann drückte sie herunter.
    Dann fesselte er sie geschickt wieder an das Möbelstück, ließ allerdings diesmal ihre Arme frei. »Es ist halb sieben«, meinte er. »Bestimmt haben Sie Hunger. Aber zuerst möchte ich, daß Sie sich Dan Rathers Sendung ansehen. Ihnen zuliebe hoffe ich, daß er meine Anweisungen befolgt hat.«
    Die CBS-Abendnachrichten begannen. Mit bedrückter Mine moderierte Rather die Titelstory an: »Die Kongreßabgeordnete Sandra O’Brien Britland aus New Jersey, weithin bekannt als Sunday und Ehefrau des ehemaligen Präsidenten Henry Parker Britland ist entführt worden. Die Kidnapper verlangen die Freilassung des Terroristen Claudus Jovunet, der für Anschläge im In- und Ausland verantwortlich gemacht wird. Die Forderung lautet, Jovunet mit dem neuen Überschallflugzeug, nur mit den beiden Piloten bemannt, an einen noch unbekannten Ort zu fliegen. Die Entführer drohen, Ms. Britland andernfalls in den Atlantik zu werfen. Ich habe mit Henry Britland gesprochen, der sich zur Zeit bei seinem Amtsnachfolger Desmond Ogilvey im Oval Office aufhält. Er hat mir versichert, daß die Bedingungen erfüllt würden. Die Regierung der Vereinigten Staaten wird alles tun, um Ms. Britland zu retten.«
    Der Entführer lächelte. »Gewiß werden sie noch weiter über Sie berichten. Ich lasse den Fernseher laufen, während ich Ihr Essen hole. Viel Spaß.«
    Sunday wandte sich dem Apparat zu. »Wir schalten um ins Weiße Haus, wo sich Henry Britland persönlich an die Entführer seiner Frau wenden wird«, sagte Rather.
    Kurz darauf mußte Sunday hilflos die Trauer und Angst im Gesicht ihres Mannes ansehen. Offenbar hatte sich die Lautstärke geändert, und sie beugte sich vor, um ihn zu verstehen.
    Dann wurde Henrys verzweifelte Bitte von Gesang übertönt. Es klang wie zwei Stimmen, die eines Mannes und die einer alten Frau. Sunday konnte die Worte kaum ausmachen.
    »… blinde Mäuse …«, hörte sie, und erkannte das Lied.
    »Und sie folgten aller der Farmersfrau«, ergänzte sie im Geiste.
    Doch der gesungene Text lautete anders. Die Stimmen wurden lauter und näherten sich von der Treppe her.
    »… und sie folgten der Präsidentenfrau, doch die war ertrunken im Meer, so blau …«
    Das Lied verstummte plötzlich, und sie hörte die Stimme ihres Entführers. »Das war sehr hübsch. Und jetzt geh wieder nach oben.«
    Kurz darauf stand er mit einem kleinen Tablett vor ihr.
    »Hunger?« fragte er freundlich. »Mutter ist zwar keine besonders gute Köchin, aber sie gibt sich Mühe.«
    Henry mußte die Tränen unterdrücken, als er sich von der Kamera abwandte. Im sonst so unruhigen Presseraum war es unnatürlich still, und man konnte den Anwesenden ihr Mitgefühl deutlich ansehen.

    Jack Collins musterte Henry voller Anteilnahme. Er fragte sich, ob sie alle hier im Raum wohl dasselbe dachten: Auch wenn Henry Parker Britland IV. einer der sympathischsten, klügsten, reichsten und charismatischsten Männer der Welt war, würde das Leben für ihn ohne Sunday den Sinn verlieren.
    »Ich bin noch nie einem Mann begegnet, der so an seiner Frau hängt«, hörte Collins einen jungen Assistenten flüstern. Wie recht du hast, dachte Jack. Gott hilf ihm, daß er diese Sache übersteht.
    Präsident Ogilvey nahm Henry beim Arm.
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