Und trotzdem ist es Liebe
auch sofort stellen. «Was läuft denn hier? Seit wann habt ihr zwei Heimlichkeiten miteinander?»
Jess legt den Arm um Michael und sagt: «Seit du in Italien warst und ich meine Samenbank gefunden habe.»
Michael lacht. «Glaub ihr kein Wort. Wir benutzen Kondome.»
Kondome. Plural , denke ich. Jess lacht. «Aber ich bin dabei, ihn zu überreden.»
«Im Ernst?», frage ich.
«Im Ernst», sagt Jess. «Er hat gute Gene, weißt du.»
Ich sehe Michael an – einen Mann, der so bindungsunfähig ist, dass er einer Frau nicht mal seinen Wohnungsschlüssel gibt. Er grinst und zuckt die Achseln.
«Aber wir sind auch verliebt», sagt Jess. «Also ist alles gut.»
«Das stimmt», sagt Michael. «Ich liebe sie.»
Forschend betrachte ich die beiden unergründlichen Gesichter. Sie wirken belustigt, aber zugleich merkwürdig ernsthaft.
Ich schüttle den Kopf. «Das ist mir zu schräg.» Ich verschwinde in meinem Zimmer, um mir einen BH zu holen.
Am Nachmittag versuche ich zu arbeiten, aber die meiste Zeit überlege ich, wie ich mit Ben Kontakt aufnehmen kann. Dann klopft es an meiner Tür. Ich nehme an, es ist Michael, der sein schuldbewusstes Gesicht bisher noch nicht hat blicken lassen.
«Herein!» Ich lehne mich zurück und bereite im Geiste meine Pointe vor.
Die Tür öffnet sich, und Richard kommt herein – im Literaten-Look, wie ich ihn gern sehe: Tweedblazer, Rollkragenpullover, Brille. Ich freue mich, ihn zu sehen – und finde ihn immer noch anziehend. Aber stärker ist ein Gefühl der Verlegenheit, denn nach unserer Rückkehr vor zehn Tagen sehen wir uns jetzt zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht wieder.
«Ich wusste nicht, dass du eine Brille trägst.» Ich lache nervös.
«Nur zum Lesen.» Er nimmt sie ab und schiebt sie in die Jackentasche.
Lächelnd deute ich auf meinen Besucherstuhl. «Setz dich.»
Er schließt die Tür bis auf einen Spalt und nimmt Platz.
«Und, Parr? Was ist los?», fragt er, und sein spöttisches Lächeln kann einen Hauch von verletztem Stolz nicht vollständig maskieren. Ich bin ziemlich sicher, dass Richard es nicht gewohnt ist, auf irgendeine Weise abzublitzen. «Hat’s dir am Comer See nicht gefallen oder was?»
Ich räuspere mich und antworte stammelnd: «Ich hatte nur viel zu tun … Aber doch, es war sehr nett am Comer See.»
«Nett, hm?» Richard verzieht amüsiert das Gesicht.
«Du weißt, wie ich das meine. Es war toll», sage ich aufrichtiger. «Danke.»
«Du hast dich schon bedankt», sagt er. «Du brauchst es nicht nochmal zu tun.»
Wir lächeln uns an, und ich habe das Gefühl, dass zehn Minuten so vergehen, aber wahrscheinlich sind es eher dreißig Sekunden. In dieser kurzen Zeit wird absolut klar – wenn es das nicht schon vorher war –, dass unsere Affäre zu Ende ist. Ich weiß, dass Richard keine tiefen Gefühle für mich hegt, und ich bin beinahe ebenso sicher, dass er noch mindestens eine andere Frau am Wickel hat – und noch ein paar mehr in der Hinterhand. Trotzdem fühle ich mich genötigt, ihm eine Erklärung zu geben. Also sage ich: «Hör zu, ich komme mir wirklich jämmerlich vor, wenn ich dir das sage, aber –»
Richard fällt mir ins Wort. «Vorsicht. Jämmerlichkeit kann bei manchen Frauen sehr bezaubernd wirken.»
Ich muss lachen. «Nicht in meinem Fall.»
«Lass mich raten», sagt er. «Du liebst deinen Exmann immer noch?»
Ich sehe ihn an und frage mich, woher er das weiß. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich seit Raymond jrs. Taufe auch nur ein einziges Mal von Ben gesprochen habe. Aber vielleicht weiß er es gerade deshalb. Ich überlege, ob ich eine umfassende Erklärung abgeben soll, aber dann sage ich nur beiläufig: «Ich habe ja gesagt, es ist jämmerlich.»
Dann greife ich in meine oberste Schreibtischschublade, um meinen Ring herauszuholen. Die Italienreise kann ich ihm nicht zurückgeben – und es wäre viel zu peinlich und unfein, ihm Geld für meine Hälfte der Reisekosten anzubieten. Aber den Ring kann ich ihm symbolisch zurückgeben. «Mir wäre nicht wohl dabei, ihn zu behalten», sage ich, und als ich den Ring hinüberreiche, fühle ich mich jäh in meine Schulzeit zurückversetzt, als ich Charlie seine High-School-Jacke zurückgab, bevor wir uns trennten, um jeder für sich aufs College zu gehen.
Richard winkt ab. «Ach, mein Gott, Parr. Das war nichts. Er war nicht mal besonders teuer. Behalte ihn.»
«Bist du sicher?», frage ich.
Er sieht mich genervt an.
Ich lege das Etui zurück in die
Weitere Kostenlose Bücher