Und trotzdem ist es Liebe
zusammenfassen?», frage ich, während Zoe weiter nach dem Telefon kräht.
«Na, in einem Wort, es tut ihm wahnsinnig leid. So leid, dass er bettelt und weint, meine ich. Er sagt dauernd, er weiß nicht, warum er es immer wieder tut. Er sagt, er brauche Hilfe. Er will zu meiner Therapeutin, zu Cheryl, und dazu war er noch nie bereit. Er sagt, er will alles tun, um die Familie zusammenzuhalten», flüstert sie. «Von dieser Seite habe ich ihn noch nie erlebt. Es ist nicht wie sonst. Vielleicht liegt es daran, dass … dass ich diesmal anders bin. Ich habe nicht ein einziges Mal geweint.»
Ich werfe einen Seitenblick auf Zoe und formuliere meine Frage sorgfältig. «Will er sagen, es ist eine Art … Sucht?»
«Na ja, genau so hat er es nicht ausgedrückt … Ich glaube, er ist einfach … ein sehr unglücklicher Mensch.»
Das könnte sein, denke ich, aber das gibt ihm noch lange nicht die Freiheit, in Manhattan herumzulaufen und alle anderen in seiner Familie genauso unglücklich zu machen. Aber es steht mir nicht zu, ein Urteil zu fällen oder für meine Schwester Entscheidungen zu treffen. Deshalb frage ich nur: «Wie geht es dir damit?»
«Ich weiß nicht. Aber ich weiß, dass ich zur Abwechslung mal die Oberhand habe … Und das ist ein gutes Gefühl.»
Nach einer Pause fragt sie, wo Zoe sei.
«Sie sitzt hier und wartet geduldig darauf, dass sie mit dir sprechen kann. Ich gebe sie dir.» Dann atme ich scharf ein. «Aber vorher muss ich dir noch etwas erzählen –»
Maura unterbricht mich. «O Gott, was ist passiert?»
Ich bewundere so viel mütterliche Intuition, und ich beruhige sie: Zoe sei wohlauf. Dann berichte ich ihr mit möglichst wenig Dramatik von Zoes Unfall. Tucker lasse ich weg, und am Ende sage ich: «Es tut mir wirklich leid, dass das passiert ist.»
«Sei nicht albern», sagt Maura, aber ihre Stimme zittert ein bisschen. «Unfälle kommen nun mal vor. Ist doch nicht deine Schuld … Lass mich mit ihr sprechen.»
Ich gebe Zoe das Telefon, und als sie die Stimme ihrer Mutter hört, bricht sie prompt in Tränen aus. Vermutlich ist das ein natürlicher Reflex, wenn man mit dem Menschen spricht, den man am meisten auf der Welt liebt. Was übrigens bedeutet, dass ich den Lunch mit Ben besser absagen sollte. Ich sehe mich schon vor mir, wie ich mit ihm am Tisch sitze und Rotz und Wasser heule.
Als Zoe ihre Geschichte von dem Unfall und der Fahrt ins Krankenhaus, von Dr. Steve und den fünf Stichen erzählt hat, fängt sie sofort von Ben und Tuckers Verlobung an. Ich habe nicht die Energie, sie zu stoppen oder mich einzuschalten. Außerdem ist ihr Bericht ziemlich zutreffend – bis hin zu dem «blonden Pferdeschwanz» und dem «dicken, funkelnden Diamantring».
Als ich das Telefon wieder in der Hand habe, sagt Maura: «Ist das wahr?»
«Leider», sage ich. « So viel Phantasie hat sie auch wieder nicht.»
«O Gott. Das tut mir so leid.»
«Ich weiß», sage ich. «Mir auch.»
Im Licht des Unfalls entscheidet Maura, dass Zoe noch am Abend wieder nach Hause kommen soll. «Sie muss jetzt hier bei uns sein», sagt sie. Das «uns» entgeht mir nicht und auch nicht die Tatsache, dass Maura und Scott zusammen kommen, um sie abzuholen. Ich frage mich, ob das bedeutet, dass Maura ihm «noch eine Chance» geben will, oder ob sie Zoe damit zeigt, dass ihre beiden Eltern sie lieben, auch wenn sie einander nicht mehr lieben.
Aber klar ist, dass Maura sehr viel besser aussieht als noch vor zwanzig Stunden, als sie Zoe bei mir abgeliefert hat. Sie strahlt Energie und Stärke aus; ihre Haltung ist perfekt, ihre Gesichtsfarbe gesund. Scott dagegen ist fahlgrau und wirkt verängstigt und windelweich.
Es hätte genauso gut anders ausgehen können, denke ich. Scott hätte arrogant reagieren können: «Okay, du hast mich erwischt. Lassen wir uns scheiden.» Oder, schlimmer noch, er hätte sagen können: «Ich liebe diese Frau, und wir wollen heiraten.»
Zumindest hat Maura jetzt eine Wahl, und es gibt Kraft, wenn man sich in der Position des Entscheidungsträgers weiß. Ich freue mich für meine Schwester, weil sie wenigstens diese Möglichkeit hat. Ich wünschte, ich hätte sie auch.
Ich küsse Zoe mindestens viermal zum Abschied und sage, dass sie möglichst bald wieder bei mir übernachten muss, damit wir Gelegenheit haben, zu FAO Schwarz zu gehen und mit der Kutsche zu fahren. «Vielleicht schneit es beim nächsten Mal ja sogar», sage ich, und ich vermisse sie schon, bevor sie weg
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