Und trotzdem ist es Liebe
anderen Freunde von der High School wiedertreffe, aber mit meiner Scheidung hat sich das geändert. Es ist nicht die Sorte Neuigkeit, die man gern in einen Smalltalk einfließen lässt, aber andererseits ist es auch ziemlich unmöglich, so etwas nicht zu erwähnen. Außerdem habe ich meine Quote an Zufallsbegegnungen für diese Woche schon erfüllt, und mein Vorrat an Freundlichkeit ist erschöpft. Ich halte den Kopf gesenkt und schiebe der Kassiererin einen Zwanziger zu.
Als ich gerade glaube, ich kann entkommen, sagt Charlie: «Claudia? Bist du das?»
Ich will so tun, als hätte ich ihn nicht gehört, und einfach weitergehen, aber ich mag Charlie, und ich möchte nicht als Großstadt-Snob erscheinen – Charlie hat mal gesagt, ich sei einer –, und deshalb drehe ich mich um und spiele ihm die ausgeglichene, glückliche Erwachsene vor, so gut ich es kann. «Hey, Charlie!», sage ich. «Fröhliches Thanksgiving!»
«Dir auch, Claudia!», sagt er und schiebt seine Last-Minute-Einkäufe vorwärts: einen Riesenkarton Vollmilch, drei Dosen Cranberry-Sauce und eine Packung Tampons. «Wie geht’s dir?»
«Prima!», sage ich strahlend, und als ich nach unten schaue, sehe ich Charlies Sohn, der ein Döschen Tic Tac Orange schüttelt. Er sieht genauso aus wie Charlie auf seinem Kindergartenfoto, das gerahmt bei ihm zu Hause in der Diele stand, als wir miteinander gingen. Der kleine Junge schaut zu seinem Vater auf und fragt: «Können wir die kaufen, Dad?»
Ich rechne mit einem Nein, leg das zurück , denn das ist die Standardantwort von Eltern im Supermarkt, aber Charlie sagt: «Klar, warum nicht?», und wirft die Tic Tacs auf das Kassenband.
Lächelnd denke ich daran, was mir an meinem ersten Freund am besten gefallen hat – seine reflexhafte Antwort war immer: «Warum nicht?» Er war unkompliziert, fröhlich und umgänglich. Es gab Zeiten, in denen ich ihn wegen dieser Eigenschaften wohl für einfältig gehalten hätte, aber jetzt glaube ich, dass er einfach glücklich ist. Schließlich ist er derjenige, der eine Familie hat. Er ist der Mann, der Hygieneartikel für seine Frau kauft. Und ich bin die Frau, die geschieden ist, und draußen im Auto wartet mein Vater.
«Was gibt’s Neues?», fragt Charlie mit breitem Lächeln.
«Nicht viel», sage ich und versuche, ihn mit einer Frage nach seinem Sohn abzulenken. «Ist das dein Ältester?»
«Nein!», sagt Charlie. «Das ist mein Jüngster, Jake … Jake, das ist Claudia.»
Jake und ich geben uns die Hand, und ich hoffe, dass es damit zu Ende ist, aber dann fragt Charlie: «Was macht Ben?»
«Tja, wir sind geschieden», sage ich.
«Das tut mir leid.»
«Muss es nicht. Er heiratet bald wieder.»
Dann lache ich über meinen eigenen Witz. Charlie lacht auch, aber es ist ein verlegenes Mitleidslachen, kein herzhaftes Lachen. Wir wechseln noch ein paar freundliche Worte und versprechen, unsere Familien zu grüßen. Die ganze Zeit sehe ich ihm an, was er denkt: Ich hab’s gewusst. Ich habe gewusst, dass sie ein trauriges Leben vor sich hat, als sie mir nach dem Ball sagte, sie will keine Kinder .
Daphne hat alles unter Kontrolle, als mein Vater und ich bei ihr ankommen. Aber damit meine ich nicht Mauras hochglanzpolierte Perfektion – im Gegenteil, Daphnes Haus ist in einem Zustand lärmender Unordnung. Die Küche ist ein Schlachtfeld, und Tonys Football-Spiel konkurriert mit Daphnes Lieblings-CD von Enrique Iglesias und den beiden aufgeregten Yorkies. Aber es riecht überall gut, und es ist behaglich. Daphne steht am Herd, und alle vier Brenner lodern. Sie hat eine Schürze umgebunden und sieht entspannt aus. Mein Vater geht zu Tony ins Wohnzimmer, und ich lege meine Pasteten und die Sprühsahne in den Kühlschrank und sage: «Du hast hoffentlich noch einen Ersatz-Nachtisch.»
«Selbstverständlich.» Mit stolzem Lächeln zeigt Daphne auf den frisch ausgerollten Pastetenteig auf der Arbeitsplatte.
«Und?» Ich setze mich auf einen Hocker vor der Theke. «Hast du von Maura gehört? Kommt er auch?»
Daphne weiß, dass ich Scott meine. Sie fängt an, einen Granny-Smith-Apfel zu schälen, und berichtet, dass Maura bis heute Vormittag noch nicht entschieden hatte, ob sie ihn mitbringen oder allein zu Hause lassen wollte. Zu ihrer Freude hat sie erfahren, dass Scotts Eltern und die Familie seiner Schwester für das Feiertagswochenende einen Trip nach Disney World gebucht haben – wenn sie ihn also ausschließt, hat er keinen Plan B.
Kurz darauf hören wir
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