Und trotzdem ist es Liebe
mich heran.
Klick. Klick .
«Mutter. Es reicht.» Klick. Klick. Klick .
«Das meine ich ernst, Mutter!», schreie ich. Sie steht auf, um mein angstgepeinigtes Profil aus einem anderen Winkel zu erwischen, und plötzlich mischt sich eine unglaubliche Traurigkeit in meine Wut. Ich lasse das Gesicht in die Hände sinken. Ich darf nicht weinen, ich darf meiner Mutter nicht beweisen, dass sie recht hat. Als ich den Kopf hebe, sehe ich Jess in der Tür. Sie schaut mich fragend an: Brauchst du mich? Ich schüttle den Kopf; ich brauche niemanden, denke ich. Jess zieht sich mit besorgter Miene zurück. Ich sehe, wie meine Mutter einen neuen Film einlegt und sich den Kamerariemen wieder über den Kopf streift.
Jetzt bin ich nur noch wütend. «Wage ja nicht, mich noch einmal zu fotografieren. Ich bin deine Tochter. Nicht dein Projekt.»
Meine Stimme klingt beklemmend ruhig, und ich höre darin etwas, das mir beinahe Angst macht. Ich frage mich, ob meine Mutter es auch hört – falls sie mir überhaupt zuhört.
Plötzlich weiß ich: Wenn diese Frau, die mich zufällig vor fast fünfunddreißig Jahren zur Welt gebracht hat, mich in diesem Augenblick fotografiert, um meinen Schmerz für sich auszubeuten, dann bin ich mit ihr fertig für alle Zeit. Dann werde ich nie wieder mit ihr sprechen. Ich werde mich unter allen Umständen weigern, sie wiederzusehen – das Sterbebett eingeschlossen.
Natürlich habe ich diesen Gedanken schon oft gedacht, aber noch nie vollzogen. Ich knicke immer wieder ein – nicht um ihretwillen und auch nicht, weil ich eine Mutter brauche oder will, sondern weil ich nicht will, dass meine Mutter definiert, wer ich bin. Und wenn ich nie mehr mit ihr spräche, würde sie das auf eine bizarre Weise tun. Wenn ich lese, dass irgendeine Prominente nichts mehr mit ihrer Mutter zu tun haben will (Meg Ryan, Jennifer Aniston, Demi Moore – ich kenne die Liste auswendig), denke ich immer, es sagt etwas über die Mutter und über die Tochter. So abscheulich das Vergehen der Mutter auch gewesen sein mag, es kennzeichnet die Tochter immer noch als unnachsichtig, selbstgerecht und kalt.
Meine Mutter ist eine Nervensäge und eine Plage, aber sie ist nicht wichtig genug, um sie in fetten Lettern abzuschreiben. Doch trotz meiner allgemeinen Neigung, die totale Entfremdung zu vermeiden, habe ich das Gefühl, jetzt an einem Kreuzweg zu stehen. Wenn ich mich von dem Mann scheiden lassen kann, den ich liebe, kann ich auch das Band zwischen mir und dieser Frau zerschneiden.
Ich sehe, wie meine Mutter die Stirn in Falten legt und mich mit ihrem mitfühlenden Standardblick ansieht. Ihr bestes Beerdigungsgesicht. Ich weiß, was du durchmachst. Ich bin für dich da . Bullshit. Es mangelt ihr an Empathie, sogar im Umgang mit ihren eigenen Töchtern, aber sie versteht es meisterhaft, fürsorglich zu erscheinen. Sie ist eine Schauspielerin. Leute außerhalb der Familie mögen sie ansprechend finden, faszinierend, einfühlsam. Manchmal lässt sich sogar Daphne von ihr täuschen. Aber ich kenne die Wahrheit über sie.
Meine Wut verwandelt sich zu einem kleinen Teil in Neugier. Wie schlimm ist meine Mutter? Wird sie mich noch einmal fotografieren, auch nachdem ich kurz davor war, in Tränen auszubrechen? Auch nachdem ich sie unmissverständlich gewarnt habe? Fast wünsche ich mir, dass sie noch ein letztes Foto macht. Fast wünsche ich mir, dies könnte der entscheidende Augenblick zwischen Mutter und Tochter sein. Ich beobachte sie: Sie erstarrt, und dann lässt sie die Kamera in den Schoß sinken. Niemand hält meine Mutter je davon ab, zu tun, was sie will, und unwillkürlich überkommt mich ein Triumphgefühl. Und große Überraschung.
Sie presst die Lippen zusammen und sagt: «Es tut mir leid.»
Über ihre Entschuldigung bin ich ebenso erleichtert wie enttäuscht. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie sich jemals für irgendetwas bei mir entschuldigt hat. Zumindest hat sie es nie getan, ohne jemand anderem die Schuld zu geben oder ein «Aber» hinzuzufügen. Ich möchte sie nicht so einfach davonkommen lassen, aber ich bin völlig ausgelaugt. Also sage ich: «Schon gut, Mutter.»
«Wirklich?», fragt sie.
Ich verdrehe die Augen. «Ja.»
Wir schweigen beide, und verlegen packt sie ihre Fotoausrüstung ein. Als alles verstaut vor ihr auf dem Boden steht, sieht sie mich an und sagt noch einmal leise, aber aufrichtig: «Es tut mir leid.»
Ich schaue weg, aber ich spüre weiter ihren Blick auf mir. Ich spüre, wie sehr
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