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Und trotzdem ist es Liebe

Und trotzdem ist es Liebe

Titel: Und trotzdem ist es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Giffin
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sie sich wünscht, dass ich etwas sage. Ihr Absolution erteile. Sie umarme.
    Ich tue nichts davon. Ich sitze einfach schweigend da.
    Geraume Zeit später sagt meine Mutter: «Ich muss dir etwas sagen, Claudia.»
    «Was denn?» Ich rechne mit irgendeiner Albernheit. Morgen scheint die Sonne wieder. Der Himmel ist am dunkelsten vor dem Morgengrauen. Auf Regen folgt Sonnenschein . Warum gibt es so viele banale Redensarten über das Wetter?
    Aber meine Mutter räuspert sich und sagt: «Ich möchte dir etwas erzählen, was ich dir noch nie erzählt habe.»
    «Bitte sehr», sage ich, und ich sehe Jess’ Schatten in der Tür. Sie lauscht nicht wirklich, sie will mir nur die Mühe ersparen, nachher alles noch einmal zu wiederholen.
    «Du warst ein Unfall», sagt meine Mutter. «Eine ungeplante Schwangerschaft.»
    «Das weiß ich, Mutter.»
    Sie hat nie ein Hehl daraus gemacht – ich wusste es schon, als ich noch klein war. In meiner Anwesenheit erzählte sie anderen Leuten: «Ich dachte, ich wäre fertig. Claudia hier war ein ‹Unfall›.» Das Wort «Unfall» flüsterte sie, aber natürlich habe ich es jedes Mal gehört. Und selbst wenn ich das Flüstern nicht immer wieder gehört hätte – ich hätte es auf jeden Fall gehört, als sie mir das Wort ins Gesicht schrie, nachdem ich ihr mitgeteilt hatte, dass ich ihre verschwenderische Hochzeit mit Dwight boykottieren würde und dass sie sich mein lavendelfarbenes Brautjungfernkleid dahin schieben könne, wo die Sonne niemals scheint. (Meine Lieblingsredensart, was das Wetter angeht.)
    «Bitte», sagt sie jetzt, «lass mich ausreden.»
    Ich zucke die Achseln. Sie hat wirklich eine wahnsinnige Art, sich zu entschuldigen.
    «Du warst nicht geplant», fährt sie fort. Dann hebt sie den Zeigefinger, als hätte sie etwas Bedeutsames zu verkünden. «Aber gerade vor ein paar Tagen habe ich die Danksagung in einem deiner Romane gelesen. In dem über den Mann mit der Hasenscharte.»
    «Gaumenspalte», sage ich. Sie meint John Skvarlas Memoiren. Johns Geburtsfehler war ein so winziger Teil seiner Lebensgeschichte, dass ich mich frage, ob sie je über die erste Seite hinausgekommen ist. Meine Mutter tut, als wäre sie sehr belesen, und kauft dauernd gebundene Bücher, aber normalerweise wandern sie ungeöffnet ins Regal im Wohnzimmer. Alles nur Show.
    «Egal», sagt sie. «Um das Buch geht es nicht. Es geht darum – ich habe die Danksagung gelesen, und er bedankt sich bei dir als Lektorin und Freundin. Und es hat mich mit tiefem Stolz erfüllt, dass du meine Tochter bist.»
    Ich weiß, dass meine Mutter sich in jeder Form öffentlicher Aufmerksamkeit sonnt. Zu gern erzählt sie ihren Freundinnen, dass sie eine erfolgreiche Lektorin in einem angesehenen New Yorker Verlag großgezogen hat, und wenn sie auf den Namen ihrer Tochter im Impressum eines Buches zeigen kann, ist das nur das Sahnehäubchen auf der Torte für sie. Trotzdem bin ich von ihren Worten überrascht. Das ist nicht die Sprache, die meine Mutter normalerweise spricht.
    «Ich bin so stolz auf dich, Claudia», sagt sie. «Nicht nur, weil du so gescheit bist und so viel erreicht hast. Sondern weil du jemand bist, dem andere Leute auf der ersten Seite eines Buches danken wollen. Die Leute lieben und achten dich. In der Hinsicht bist du etwas Besonderes», sagt sie leise. Sie schaut auf ihre Füße und schiebt ihre orangegelben Autofahrer-Mokassins zusammen. Ihre Hände liegen verschränkt im Schoß. Sie sieht zerknirscht aus, schüchtern und aufrichtig.
    «Du bist das Beste, was ich in meinem Leben zustande gebracht habe», endet sie.
    Ich will nicht gerührt oder dankbar sein, aber ich bin es. So sehr, dass ich schon wieder den Tränen nahe bin. Wie kann eine Frau einen solchen Tsunami an Emotionen in mir hervorrufen – noch dazu in so kurzer Zeit? Ich muss mich bremsen. Ich rufe mir in Erinnerung, dass meine Mutter es sich in gewisser Weise als Verdienst anrechnet, dass ich geworden bin, was ich bin, obwohl ihr das kaum zusteht. Sie hat mir immer gesagt, ich soll die Nase aus den Büchern nehmen und an die frische Luft gehen. Sie war am Boden zerstört, als ich mich mit sechzehn um einen Job in der Bücherei bewarb, statt als Bademeisterin im Country Club zu arbeiten. Was ich bin, bin ich trotz meiner Mutter. Aber ich kann nicht anders – ich weiß, ich werde nicht vergessen, was sie mir gerade erzählt hat. Ich weiß, ich werde ihre Worte noch mindestens hundertmal Revue passieren lassen. Ich weiß, auch wenn ich es

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