Und trotzdem ist es Liebe
beurteile, wie unvernünftig ihre emotionale Reaktion auf irgendetwas ist. Ich habe unweigerlich das Bedürfnis, ihr zu sagen, jawohl, sie sei unvernünftig. Maura gibt diesem Instinkt jedes Mal nach, aber ich habe gelernt, behutsam zu sein.
«Ich kann verstehen, warum du dich ärgerst», sage ich, während ich eine Antwort-Mail an Richard schreibe: So bald wie möglich .
«Ich meine, es ist einfach so eklig», sagt sie. «Und es gibt diesem ganzen Prozess etwas noch Demütigenderes.»
«So darfst du es nicht sehen», sage ich. «Augen zu und durch.»
«Na, findest du nicht, dass Tony ihnen hätte sagen können, er braucht keine … Requisiten? Findest du nicht, er sollte an seine Frau denken? Statt vor einem Porno zu wichsen?»
«Ich bin sicher, er denkt an dich. Ein bisschen solltest du ihm schon vertrauen, Daph.»
«Ja, schön», sagt sie. «Aber unser Sexleben ist beschissen. Außer wenn ich meinen Eisprung habe, existiert es nicht. Und wenn ich ihn habe, ist es Arbeit.»
«Das wird wieder besser», sage ich und denke dabei an Richard. Daran, wie gut es gestern Abend war. Daran, dass ich niemals die Plackerei eines fortpflanzungsorientierten Geschlechtsverkehrs erdulden muss. «Ihr beide steht einfach unter hohem Druck.»
Ich sehe auf die Uhr. Es ist neun Uhr neunzehn, und ich brauche ungefähr vier Minuten, um mit dem Aufzug drei Stock nach oben zu fahren und zum Konferenzzimmer zu gehen. Also habe ich noch sieben Minuten, um meine Notizen durchzusehen.
Ich will mich gerade verabschieden, als sie fragt: «Glaubst du, es ist seine Schuld?»
«Schuld? Was meinst du damit?»
Selbstverständlich ist es nicht Tonys Schuld, dass die Klinik – eine Klinik, die Daphne geprüft und ausgesucht hat – Pornographie bereithält.
«Meinst du, das Problem liegt bei ihm oder eher bei mir? Dass wir nicht schwanger werden können?»
Daphne muss sich darüber im Klaren sein, dass ich ihr unmöglich eine Antwort geben kann, die umfangreiche diagnostische Untersuchungen erfordert, aber so etwas hindert sie niemals daran, solche Fragen zu stellen; sie ist eine überzeugte Anhängerin von wilden Spekulationen und blanken Vermutungen.
Ich will sie bei Laune halten. «Wahrscheinlich ist es sein Problem. Aber ich sage dir auch voraus, dass es ein lösbares Problem sein wird … Hör zu, Daph. Ich muss jetzt wirklich los. Ich melde mich nach der Sitzung, okay?»
«Okay. Aber drück die Daumen, dass du recht hast … und dass es wirklich seine Schuld ist», sagt sie, und wir verabschieden uns.
Ihre letzte Bemerkung über Schuld beunruhigt mich so sehr, dass ich stirnrunzelnd das Telefon betrachte, als ich auflege, was eigentlich nur Leute in schlechten Fernsehserien tun. Ich weiß nicht genau, was mich daran stört, aber das kann ich später analysieren.
Jetzt muss ich meinen Vertreterhut aufsetzen. Der Zweck der wöchentlichen Lektoratssitzung besteht darin, dass die Lektoren dem Cheflektor und den Leitern der anderen Abteilungen Manuskripte schmackhaft machen und diesen Gelegenheit geben, das Projekt aus den unterschiedlichsten Gründen abzuschießen: Dieses Buch ist unverkäuflich. Dieses Buch hat zu viel Ähnlichkeit mit einem Buch, das wir letztes Jahr gemacht haben . Manchmal genügt auch das schlichte alte Dieses Buch ist Mist . Natürlich steht für die Lektoren viel auf dem Spiel, und deshalb haben diese Sitzungen etwas Darwinistisches, und außerdem ist jede Menge interne Politik im Spiel. Die Gemüter erhitzen sich, und nicht selten kommt es vor, dass junge Lektoren, die verzweifelt darauf aus sind, sich einen Namen zu machen, den Raum unter Tränen verlassen. Ich habe im Laufe meiner Karriere eine Reihe traumatischer Konferenzen erlebt, aber dieses Jahr habe ich tatsächlich sechs von sechs Romanen durchgebracht (das könnte ein Hausrekord sein), und mir wäre nichts lieber, als diesen Rekord zu halten. Außerdem möchte ich Eindruck auf Richard machen. Es wäre wirklich eine Schande, wenn meine Glückssträhne nach gestern Abend plötzlich zu Ende wäre.
Als ich den Konferenzraum betrete, spüre ich Richards Anwesenheit sofort. Ich höre sein herzhaftes Lachen, und aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er sich Kaffee in einen Styroporbecher gießt. Ich habe nicht den Mumm, auf ihn zuzugehen oder auch nur in seine Richtung zu schauen. Ich vermeide jeglichen Smalltalk, setze mich an den langen Tisch und gehe gewissenhaft meine Notizen durch. Jacqueline Dody, meine gute Freundin und beste Verbündete im
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