Und trotzdem ist es Liebe
zu sein, aber unwillkürlich kehre ich immer wieder zur anderen Hälfte ihrer Äußerung zurück. Ich will ihre Not nicht auf mich beziehen, wie meine Mutter es immer tut, wenn jemand anders ein traumatisches Erlebnis hat, aber ich frage sie trotzdem: «Warum glaubst du, ich verstehe das nicht?»
Jess und ich streiten uns nie, und deshalb erkennt sie meinen scharfen Unterton nicht. Sie kann nicht wissen, wie sauer ich bin. Wie sehr ich bereue, dass ich sie zurückgerufen habe und all das. Ich könnte jetzt noch bei Richard sein. Ich wünschte, ich wäre es. Fast. Tatsächlich weiß ich es nicht genau – in gewisser Weise war es ganz gut, auf diese unverfängliche Weise zu verschwinden. Viel einfacher, als wenn ich selbst hätte entscheiden müssen, ob ich über Nacht bleiben sollte.
Aber eins weiß ich: Ein Kerl wie Trey sollte nicht die Macht haben, in mein Liebesleben einzudringen. Schlimm genug, dass er es bei meiner besten Freundin getan hat.
Ich sehe Jess an und warte auf eine Antwort. Sie zündet sich eine Zigarette an. «Weil du keine Kinder haben willst.»
Genau , denke ich. Und ich schätze, das bedeutet auch, ich habe keine Phantasie, keine Empathie, keine Gefühle. Ich kann unmöglich begreifen, was eine andere Frau empfindet, wenn ich selbst nicht Mutter sein will. Was ist das schließlich für eine Frau, die keine Mutter sein will?
Fünfzehn
Am nächsten Tag ruft Daphne mich aus dem Wartezimmer der Fruchtbarkeitsklinik an. Ich muss gleich in die wöchentliche Lektoratskonferenz, und die Zeit bis dahin möchte ich nutzen, um entweder meine Notizen noch einmal durchzugehen oder Richard guten Morgen zu sagen oder beides. Ich habe ihn gestern Abend nach meinem Gespräch mit Jess noch einmal angerufen, aber mir ist immer noch merkwürdig zumute, weil ich so schnell gegangen bin, nachdem wir das erste Mal miteinander geschlafen hatten. Ich sage Daphne, ich hätte jetzt keine Zeit und würde sie nach der Konferenz zurückrufen.
«Aber es ist zwölf nach neun», sagt sie.
«Ja. Und?»
«Dein Meeting fängt doch nicht um Viertel nach neun an, oder?»
Ich weiß genau, worauf sie hinauswill, aber ich gehe ihr trotzdem in die Falle. «Nein, um halb zehn.»
«Dann hast du doch noch ein paar Minuten, oder?»
Seufzend schüttele ich den Kopf. Daphne glaubt anscheinend, weil ich mein eigenes Büro und Telefon habe, kann ich mich jederzeit unterhalten. Aber statt ihr jetzt die Einzelheiten der Konferenz zu erläutern oder etwas von meinem Abend mit Richard zu erwähnen, sage ich: «Okay, Daph. Drei Minuten. Was gibt’s?»
Ich kann ihr triumphierendes Lächeln durch die Leitung fühlen. «Na ja», sagt sie, «wir sind hier in dieser Klinik. Tom lässt sich untersuchen. Weißt du, um festzustellen, ob bei ihm etwas nicht in Ordnung ist.»
«Ja.» Ich checke meine Mails. Ich habe eine von Richard. Der bloße Anblick seines Namens lässt mein Herz flattern. Er war so gut gestern Abend.
Sie sagt: «Der erste Schritt ist die Spermaanalyse.»
«M-hm», sage ich. «Das klingt sinnvoll.»
«Da sperren sie ihn in so ein kleines Zimmer mit lauter Pornovideos und Heften und so Zeug.»
Ich lache. «Der arme Tony.»
«Der arme Tony ?», sagt Daphne. «Der schaut sich im Moment nackte Frauen an. Ich glaube, mit ihm brauchst du kein Mitleid zu haben.»
«Aber es ist ihm sicher peinlich.» Leise klicke ich Richards E-Mail auf. Wann kann ich dich wiedersehen?
Lächelnd schreibe ich zurück: Um 09 : 30. Oder kommst du nicht in die Lektoratssitzung?
«Es ist ihm überhaupt nicht peinlich», fährt Daphne fort. «Er findet das alles zum Totlachen. Er hat Witze gerissen und die Schwester gefragt, ob sie auch Videos hätten, wo es zwei Mädels miteinander treiben.»
«Tony macht immer Witze, wenn er verlegen ist. Weißt du noch, wie er einmal an Thanksgiving vergessen hat, den Wagen in Parkstellung zu schalten?» Ich erinnere mich, wie sein neuer schwarzer Acura rückwärtsrollte und eine Karambolage mit vier anderen Autos anrichtete. «Er hat jahrelang ironische Bemerkungen über dieses Manöver gemacht. Tut er heute noch.»
«Das ist was anderes», sagt sie. «Das war ja wirklich irgendwie komisch. Hinterher jedenfalls.»
«Das hier wird auch irgendwann komisch sein.» Richard antwortet buchstäblich sofort. Dich allein sehen. Wie ich dich gestern Abend gesehen habe.
«Dann ist es total unvernünftig, dass ich mich ärgere?», fragt Daphne.
Das ist eine typische Frage: Daphne will immer, dass ich
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