Und trotzdem ist es Liebe
meinem dreißigsten war es das letzte Mal. Ich bin nicht besonders scharf auf Geburtstage, aber mir graut auch nicht davor. Sie sind mir eher gleichgültig. Ich meine, jeder hat einmal im Jahr Geburtstag, und deshalb weiß ich nicht, was der alljährliche Wirbel soll – zumindest, wenn man den einundzwanzigsten Geburtstag hinter sich hat.
«Woher weißt du von meinem Geburtstag?», frage ich. «Hat Michael es dir erzählt?»
«Nein. Michael hat bisher noch nicht mal zugegeben, dass er auch nur von uns weiß.»
«Woher weißt du es dann?»
«Kann sein, dass ich mal kurz auf deinen Führerschein geguckt habe», sagt Richard.
«Du bist sehr einfallsreich.»
Richard dreht sich zu mir um. «Ich kann einfallsreich sein … wenn ich etwas will», sagt er. Ich spüre, dass er mir im Dunkeln in die Augen sieht.
«Und was genau willst du?» Ich weiß nicht, warum, aber ich habe plötzlich Herzklopfen.
Richard beantwortet meine Frage nicht. Er findet meine Lippen und küsst mich. Ich erwidere den Kuss und frage mich, wie Richard mich wohl will. Auf die gleiche lustvolle Art, wie ich ihn will? Und ist das wirklich alles, was ich will? Oder geht es uns mehr um Zweisamkeit – wollen wir eine Leere ausfüllen und uns die Zeit vertreiben? Könnten wir uns ineinander verlieben? Würde ich je mit Richard zusammen sein wollen, wie ich es mit Ben war? Würde ich je noch einmal versuchen, mit jemandem verheiratet zu sein?
Als habe er meine Gedanken gelesen, hört Richard unvermittelt auf, mich zu küssen. «Kann ich an deinem Geburtstag mit dir verreisen?»
«Ja», sage ich, «das würde mir gefallen.»
«Möchtest du irgendwo besonders gern hin?»
«Egal, wohin, Hauptsache, mit dir», sage ich mit so fester Stimme, dass ich beinahe selbst davon überzeugt bin.
Am Morgen kehre ich in Jess’ Apartment zurück, um mich für die Arbeit umzuziehen. Jess sitzt im Wohnzimmer; sie trägt schwarze Seidenunterwäsche (Jess hat keine Baumwollsachen) und streicht Lotion auf ihre Beine. Im Zimmer riecht es nach Vanille. Ihre Haare sind noch feucht und stachlig von Gel. Sie sieht glücklich aus und singt «Perfect World» von Liz Phair: «I wanna be cool, tall, vulnerable, and luscious.»
Aber das bist du alles , denke ich. Laut frage ich: «Hat der Blödmann dich zurückgerufen?»
Natürlich meine ich Trey. Er heißt jetzt offiziell «der Blödmann». Anfangs hat er noch «Blödmann» geheißen; er hatte einen richtigen Namen ohne Artikel, aber wir haben entschieden, dass er nicht mal das verdient, und so haben wir ihn zu einem generischen, x-beliebigen Blödmann degradiert. Nach Auskunft seiner Assistentin Daria ist er in Tokio. Wir merken, dass sie für ihn lügt. Es gehört zu ihrer Stellenbeschreibung, für ihren Boss zu lügen.
«Sagen Sie ihm, dass es in Asien auch Telefone gibt», hat Jess bei ihrem letzten Gespräch mit Daria gesagt. Anscheinend hat Daria nur geschnaubt und gesagt: «Mach ich», bevor sie aufgelegt hat. Jess sagt, es war nicht ganz klar, gegen wen Darias Verachtung sich richtete – gegen sie oder gegen ihren Boss. Ich habe gesagt, dass Daria vielleicht auch mit ihm schläft. Das fand Jess überhaupt nicht komisch. Ich habe im Geiste notiert: vorläufig keine Witze mehr.
«Nein», sagt sie achselzuckend. «Nichts. Kein Wort. Soll er sich doch ins Knie ficken.»
Ich schaue sie forschend an und suche nach irgendeinem Anzeichen von gespielter Tapferkeit. Aber da ist nichts. Ich sehe ihr an, dass sie es allmählich ernst meint. Ja, sie ist so stark, dass ich langsam glaube, es kann nur eine Erklärung geben: Jess will das Baby mehr, als sie Trey will. Sozusagen das Gegenteil von Ben und mir. Könnten meine beste Freundin und ich noch verschiedener sein?
«Ins Knie ficken», wiederholt sie.
Ich muss lachen. «Wenn er das immer getan hätte, wärst du jetzt nicht in diesem Schlamassel.»
«Ja … Es ist ein Schlamassel», sagt sie. «Und trotzdem … es fühlt sich richtig an.»
Dann teilt sie mir mit, dass sie am Donnerstag um zwei ihren ersten Schwangerschaftstermin beim Frauenarzt hat.
«Aufregend», sage ich, und fast meine ich es ernst.
«Kommst du mit?», fragt sie zögernd. «Die Schwester hat gesagt, sie überprüfen die Herztöne des Fötus mit einem Ultraschallgerät. Diesen Augenblick würde ich gern mit jemandem teilen … Mit dir.»
«Na klar. Ich komme mit.» Ich bin gerührt, dass sie mich dabeihaben will. Ich möchte auch dabei sein, und trotzdem habe ich Vorbehalte. Zunächst mal
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