Und verfluche ihre Sünden
Bariton folgte ein lauter und erregter Alt, der von einer weiteren tiefen, zornigen Tirade erstickt wurde, auf die wiederum eine sogar noch schrillere weibliche Antwort folgte. Hadley konnte nicht verstehen, worüber sie stritten, aber es ging heftig zur Sache.
»Interessant«, wiederholte MacAuley.
McCrea erhob sich von seinem Schreibtisch und suchte Notizblock und Telefonbuch zusammen. »Ich rette mich lieber aus der Todeszone«, verkündete er.
MacAuley nickte. »Sie sollten das auch in Erwägung ziehen«, empfahl er Hadley.
Sie stöhnte und schulterte ihre Tasche. Ob sie nun wollte oder nicht, wie es aussah, würde sie als Kevin Flynns Dolmetscherin durch das North Country fahren. Als sie die Treppe hinunterlief, begleitet vom Gebrüll der Pastorin und ihres Chefs, die mittlerweile stritten, dass die Fetzen flogen, dachte sie bereits darüber nach, welche möglichst hässlichen und unschmeichelhaften Sachen sie anziehen konnte, damit Flynn nicht auf dumme Gedanken kam.
IX
Kevin Flynn genoss die Zeit. Er hatte die Scheibe heruntergekurbelt, den Arm nach draußen gehängt, die späte Maisonne wärmte seine Haut, und warme trockene Luft wehte durch den Aztek. Keine Heizung wie im März, kein Gestank nach Mist wie im April, keine Fliegen wie im – tja, sie waren den ganzen Sommer über eine Plage, aber bei siebzig Sachen pro Stunde hatten sie keine Chance, reinzukommen. Er trug Zivil, sein Polohemd hing locker über dem 44er Colt, und er leitete – leitete! – die Ermittlung, entschied, wohin sie fuhren und wen sie als Nächstes befragten.
Die attraktivste Frau von Millers Kill saß neben ihm, lauschte seiner Promise-Ring-CD, und obwohl sie nicht viel redete, riss sie ihm auch nicht den Kopf ab. In der Mittagspause hatte sie ihm sogar erlaubt, ihr Sandwich zu bezahlen, nachdem er ihr versichert hatte, sie wäre beim nächsten Mal dran.
Sie hatte ein T-Shirt und eine von diesen ausgebeulten Dreiviertelhosen an, die nur Mädchen trugen, und eine Weste, um ihre Glock zu verdecken. Sie sah so verdammt süß aus, dass er sie am liebsten die ganze Zeit angegrinst hätte. Der Anschiss des Chiefs war letzten Endes eine gute Sache gewesen, dachte er. In dem Moment zwar höllisch peinlich, aber nachdem er sich abgeregt hatte, schien das Fraternisierungsverbot doch wie ein robuster Zaun um einen Aussichtspunkt, wie zum Beispiel an den Niagarafällen. Etwas, das es ihm erlaubte, die Schönheiten der Natur zu genießen, ohne mitgerissen zu werden und zu Tode zu kommen.
Echt, besser konnte es doch gar nicht sein.
»Flynn«, sagte sie. Sie beugte sich vor und stellte die Musik ab. »Ich glaube, das führt zu nichts.«
Einen Augenblick erfüllte ihn Panik. Meinte sie … Konnte es sein, dass … dann begriff er, dass sie die Befragungen meinte.
»Wir kriegen doch nur negative Antworten. ›Nein, ich habe nichts gesehen. Nein, ich weiß nichts. Nein, den Mann auf dem Foto kenne ich nicht‹.« Sie hatten das beste Foto vom Gesicht des ersten John Doe herumgezeigt – aber trotz der gründlichen Reinigung und der Nahaufnahme sah er einfach nur tot aus.
»Das ist bei den meisten Befragungen so. Außer bei Prügeleien oder so, wo die Zuschauer alles gesehen haben. Nein bedeutet einfach nur, dass man eine weitere Sackgasse abhaken kann.«
»Das hab ich begriffen, aber was erfahren wir? Ich meine, was, wenn einer der Typen, die wir suchen, bei einer dieser Milchfarmen arbeitet? Was tut der dann? Alles zugeben?«
»Manchmal schon.« Kevin warf ihr einen Blick zu. Sie nestelte an ihrem Ring. »Der Chief oder MacAuley bringen den Mann ins Vernehmungszimmer, stellen ihm ein paar Fragen und, peng, im nächsten Augenblick rufen wir den Staatsanwalt, weil der Kerl auspackt. Man darf das Bedürfnis eines Kriminellen, sein Herz auszuschütten, nie unterschätzen.« Diese letzte Weisheit stammte vom Deputy Chief, aber er fand es überflüssig, das Zitat zu belegen.
Sie sah ihn zweifelnd an. »Wir sind weder der Chief noch MacAuley.«
»He, jeder fängt mal klein an.« Er wies mit dem Ellbogen auf ihren Ordner. »Wer steht als Nächstes auf der Liste?«
Die nächsten drei Farmen waren Wiederholungen der ersten. Die Arbeit war mühsam; sie mussten die Arbeiter suchen, die irgendwo zwischen Stallungen, Feldern und Geräteschuppen verstreut waren, sie und ihre Arbeitgeber überzeugen, dass sie nicht von der Einwanderungsbehörde waren und keinerlei Interesse an Visa, Arbeitserlaubnis oder Sozialversicherungskarte hatten.
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