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Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Titel: Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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einen Blick.«
    Van Leeuwen drehte sich um. Die Frau stand hinter der Kasse und warf ihm einen aufmunternden Blick zu. Sie trug eine schwarze Lederjacke, ein schwarzes T-Shirt und helle Jeans, stonewashed . Die Kleidung sah aus, als sollte sie sagen: Ich bin zierlich, aber ich habe einen robusten Kern. Ihr Blick war offen, fast schalkhaft, und als der Commissaris die Frau da stehen sah, mit ihrem vollen, lang und blond auf die Schultern fallenden Haar, wusste er, dass sie von Amir Singhs Tod noch nicht das Geringste ahnte.
    »Wie heißen Sie, Mevrouw?«, fragte Van Leeuwen.
    »Carien«, sagte die junge Frau. »Und Sie?«
    »Van Leeuwen.«
    Carien lächelte. Es war ein schönes Lächeln, etwas schief, fast nur ein Zucken. Sie hatte braune Augen mit gelben Sprenkeln und einem goldenen Fleck, der etwas größer war als die anderen. Die Augen fielen auf, sogar bei der schlechten Beleuchtung in der Videothek und aus der Entfernung. Die Nase war gerade, die Stirn hoch, das Kinn fest. Zusammen mit den ausgeprägten Wangenknochen und den verschwenderisch geformten Lippen ergab die Summe all dessen ein schönes Gesicht, zwar nicht im landläufigen Sinn, aber trotzdem anziehend und fesselnd.
    Es war eine Schönheit, die nicht mehr lange halten würde. Hinterder burschikosen Fassade lag etwas Ungefestigtes, zu schwach Entwickeltes, das bald nachgeben konnte. Van Leeuwen kannte den Typ: Frauen, die anderen halfen, weil sie selbst gefährdet waren und ihresgleichen erkannten – zu kurz nur Mädchen gewesen, dem Jagdinstinkt der falschen Männer ausgesetzt, zu einem Leben als liebende Trophäen verurteilt.
    »Suchen Sie was für sich oder für Ihre Familie?«, fragte sie.
    »Ich bin nicht hier, um mir Filme auszuleihen«, sagte Van Leeuwen.
    Schlagartig war sie auf der Hut. Ihr zierlicher Körper spannte sich, und sie dachte schnell, ging durch all ihre Erfahrungen, die es ihr ein Leben lang ermöglicht hatten, davonzukommen. Eine Frau, die einmal weich gewesen war, ein Mal zu oft nachgegeben hatte. Ein Mann zu viel, der ihr die Scherben seines Lebens in den Schoß gelegt hatte.
    »Wir verkaufen auch DVD s und Videos«, sagte sie hastig, »gebraucht und neuwertig, zu einem Bruchteil von dem, was Sie woanders dafür bezahlen würden.«
    Sie griff in die Innentasche ihrer Lederjacke, holte ein Päckchen Lucky Strike heraus und zündete sich eine Zigarette an. Sie rauchte hastig, in kurzen Zügen, und Van Leeuwen spürte, dass sie Angst hatte.
    »Ich bin nicht wegen der Filme hier«, sagte er noch einmal und holte seinen Ausweis heraus. »Ich bin hier, weil unter dieser Adresse ein gewisser Amir Singh gemeldet war. Kennen Sie ihn?«
    »Nein«, antwortete sie zu schnell.
    »Ein Inder, sechsundzwanzig Jahre alt, vor einigen Jahren aus Bombay eingewandert«, sagte Van Leeuwen.
    »So jemanden kenne ich nicht«, sagte Carien, aber ihre Hände zitterten jetzt, und sie schüttelte schnell den Kopf – mit geschlossenen Augen und so heftig, dass es aussah, als spritze der Lichtschein der blauen, roten und gelben Lampen wahllos auf dem langen blonden Haar hin und her.
    »Er war im Gefängnis«, sagte der Commissaris. »Deswegen ist er bei uns aktenkundig, und das hier war seine letzte Adresse.«
    Jetzt müsste sie fragen, warum seine letzte Adresse, dachte er, seine letzte Adresse wovor?, aber sie stellte diese Frage nicht, denn plötzlich schien sie zu wissen, wie die Antwort lautete.
    »Wie lange leben Sie schon hier, Mevrouw?«
    »Drei Jahre. Ich weiß nicht genau. Ja, drei Jahre vielleicht. Drei Jahre.«
    »Amir Singh ist tot«, sagte der Commissaris. Er wusste nicht, wie er es ihr anders beibringen sollte, es gab keine bessere Art. Und weil er es früher oder später doch tun musste, holte er das Foto heraus, das die Spurensicherung von der Leiche gemacht hatte, und zeigte es ihr. »Das ist er doch, oder?«
    Sie betrachtete das Foto ohne eine erkennbare Regung. Sie betrachtete es, aber sie sah es nicht. Dann wandte sie sich ab und ging in das Büro hinter der Kasse, wo sie die Sitarmusik abstellte. Sie kehrte zurück und sagte: »Das ist er nicht.«
    »Das ist nicht Amir Singh?«, fragte Van Leeuwen.
    »Nein.«
    »Sehen Sie sich das Bild noch einmal an.«
    »Nein«, sagte Carien und sah sich das Bild an, und was immer noch an Robustheit in ihr übrig geblieben war, schmolz ganz hinten in ihren Augen, während die Glut der heruntergebrannten Zigarette ihre Finger verbrannte.
    Es war jetzt so still in dem kleinen Raum, dass der

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