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Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Titel: Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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Fingerspitzengefühl ist, wenn es Sie nicht gäbe ... Nein, ich bin nicht betrunken. Und Sie?«
    »Ein bisschen.« Er trat zur Seite und ließ sie ein, obwohl er sich fragte, wozu das gut sein sollte. Sie roch nach Alkohol und einem herb süßen Parfum, und sie ging dicht an ihm vorbei durch den Korridor ins Wohnzimmer. Sie trug noch dieselben Sachen wie bei der Arbeit.
    »So sieht es also bei Ihnen aus«, sagte sie. »Wissen Sie, dass ich noch nie in Ihrer Wohnung war? Sie waren schon in meiner, aber ich war noch nicht in Ihrer.«
    Van Leeuwen sagte nichts.
    »Ich hatte in der Gegend zu tun«, sagte sie. »Kriege ich einen Schluck ab?«
    »Ich wollte gerade ins Bett gehen«, sagte er.
    »Ich bleibe nicht lange, keine Angst.« Sie klang kurzatmig, als drücke ihr etwas aufs Zwerchfell. »Wenn Sie schon keine Gesellschaft brauchen – mir fehlt das manchmal ein bisschen, besonders um diese Zeit.«
    Van Leeuwen schloss die Tür und folgte Julika ins Wohnzimmer. Er holte ein zweites Glas aus der Vitrine. »Setz dich schon«, sagte er. »Aber nicht in den Sessel.«
    Julika nickte und setzte sich auf die Couch, und er stellte das Glas vor sie hin. In der Weinflasche war nur noch ein kleiner Schluck, doch er hatte nicht vor, eine neue aufzumachen.
    »Ist das der Sessel, in dem Ihre Frau immer saß?«, fragte Julika.
    Van Leeuwen schwieg, und als das Schweigen andauerte, schien sie zu bemerken, dass sie einen Fehler gemacht hatte, nicht nur mit dieser Frage, sondern mit ihrem ganzen Besuch. Sie wurde blass. Plötzlich wusste sie wohl nicht mehr, was sie mit ihren Händen anfangen sollte. Sie griff nach dem Glas und trank. Dann sagte sie: »Also gut, ich bin betrunken, aber nur, weil ich nüchtern nicht – ach Scheiße, nüchtern fehlt mir der Mut, hierherzukommen. Ich wollte sehen, wie Sie leben und weil – weil ich Sie etwas fragen muss.«
    Van Leeuwen stand immer noch da und sagte nichts.
    »Nun, setzen Sie sich doch«, bat sie.
    Er blieb stehen. »Was wolltest du mich fragen?«
    »Wegen der Briefe.« Sie leerte das Glas in einem Zug. »Der Briefe, die ich Ihnen übersetzen musste – die von dem Italiener –«
    »Was ist damit?«
    Die Röte kehrte in ihre Wangen zurück, und endlich hielt sie auch die Hände still. Ihre Augen suchten seinen Blick. »Ich habe immer wieder daran denken müssen, obwohl ich es nicht wollte. Daran, wie Sie bei mir in der Küche saßen, auf dem kleinen Hocker, und wie Sie es weggesteckt haben, mit dieser ganzen Würde, die Sie –«
    »Bitte«, sagte Van Leeuwen. Sie war so jung, und er hatte sie noch nie betrunken gesehen.
    Julika gab sich einen Ruck, den man fast fühlen konnte. »Was ich Sie fragen wollte – haben Sie ihr verziehen? Konnten Sie ihr verzeihen?«
    »Nein«, sagte Van Leeuwen.
    »Wie sind Sie dann damit fertig geworden?«
    »Ich musste lernen, dass es nichts zu verzeihen gab.«
    »Wie kann man das lernen?«, fragte sie, und er merkte, dass es jetzt nicht mehr um ihn und Simone ging.
    »Ich weiß es nicht. Irgendwann war die Erkenntnis da.«
    Julika runzelte die Stirn. Sie zögerte, und dann gab sie sich noch einen Ruck. »Beten Sie manchmal, Mijnheer?«
    »Nein, nicht mehr. Schon lange nicht. Außer wenn ich Angst habe – in Augenblicken der Gefahr. Dann bete ich um meine Luger.« Er seufzte. »Ich bewahre sie in meiner Schreibtischschublade auf und vergesse immer, sie mitzunehmen.«
    »Ich weiß«, sagte Julika mit einem Lächeln. »Alle wissen das.«
    Er sah zur Fensterfront hinüber, vor der das Laub der Ulmen das Licht aus dem Wohnzimmer auffing. »Soll ich dir sagen, was ich am meisten an meiner Frau geliebt habe? Was das Schönste an all den Jahren mit ihr war? Ihr zuzuhören, wenn sie redete, und sie dabei zu betrachten. Ihre Augen, ihre Konzentration zu beobachten. Es waren gar nicht mal ihre Worte oder die Gedanken dahinter. Es war der Umstand, dass sie wirklich ernst nahm, worüber sie sprach. Dass sie mich so ernst nahm. Es war für mich das größte Glück, wenn ich merkte, dass sie das tat, weil sie sich ganz und gar für mich entschieden hatte.«
    »Es muss schön sein, sich so zu lieben«, sagte Julika, und einen Moment lang blickten ihre Augen verlegen weg. »So geliebt zu werden.« Dann fügte sie traurig hinzu: »Und plötzlich ist nichts mehr davon da.«
    »Nein, nicht plötzlich«, sagte Van Leeuwen. »Es geht allmählich verloren ...«
    Er hörte nicht auf zu reden. Zu seiner eigenen Überraschung begann er zu erzählen, wie seine Frau erst ihm und

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