Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Titel: Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
Vom Netzwerk:
dann sich selbst fremd geworden war; wie sie nach und nach ihr Leben vergessen hatte, wie ihre Erinnerungen einfach verdämmert waren. Alles, was sie wusste und kannte, war in einem schwarzen Loch verschwunden. Erst langsam, dann immer schneller hatte sich eine unendliche Leere ihrer bemächtigt, bis nichts mehr geblieben war, an dem sie sich orientieren konnte.
    »Die Krankheit ging weiter und weiter, wie ein Kabelbrand, dererbarmungslos die Nervenzellen in ihrem Gehirn auffraß, bis nichts zurückgeblieben ist als eine verhärtete Ödnis«, sagte er. »Bei Simone ist schon fast die Hälfte aller Zellen vernichtet, tot, mehr als fünfzig Milliarden. Aber daran stirbt man nicht. Man erkennt seinen eigenen Mann nicht mehr, aber daran stirbt man nicht. Wenn man reden will, kommt nur noch ein sinnloses Gebrabbel heraus. Aber auch daran stirbt man nicht. Man wäscht sich nicht mehr und pisst und scheißt, wo man gerade ist, ohne es zu merken. Aber nicht einmal daran stirbt man. Wenn es irgendwann so weit ist, wird man mich anrufen, und der Arzt wird sagen, Mijnheer, es war ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall oder eine Lungenentzündung ...«
    »Wie lange noch –?«
    »Jederzeit«, sagte er. »Es kann jederzeit so weit sein.«
    »Und in der ganzen Zeit ... seit Sie es erfahren haben ... Haben Sie da auch nie gebetet?«, fragte Julika.
    »Was hast du denn dauernd mit deiner Beterei?!«, explodierte Van Leeuwen. »Seit wann bist du so religiös? Ich bin Offizier der holländischen Polizei, ich bin nicht bei der Schweizer Garde.« Er sah die Not in ihrem Gesicht, und sein Ausbruch tat ihm leid. Ich brauche eine längere Lunte, dachte er.
    »Es ist wegen meinem Vater«, sagte Julika. »Als ich letztes Mal bei ihm war ... Es geht ihm sehr schlecht. Er hat gesagt, ich soll für ihn beten. Aber ich kann damit nichts anfangen. Ich dachte ... Sie sind der Einzige, den ich kenne, der ... dessen Leben ... Ich weiß nicht, was ich dachte.« Ihre Stimme klang leer und erschöpft.
    »Glaubst du, ich gehöre zu den Leuten, die auf die Knie fallen und sagen Dein Wille geschehe!? «, fragte Van Leeuwen. »Erst will ich wissen, was sein Wille ist , bevor ich das sage. Ich habe es schon lange aufgegeben, um etwas wirklich Wichtiges zu beten. Selbst als ich noch glauben konnte, habe ich selten gebetet. Es verträgt sich einfach nicht mit unserer Arbeit, Julika. Wer betet, hofft auf Wunder, und wer auf Wunder hofft, hört auf zu denken. Aber das ist alles, was wir haben, unser Denken. Denken ist wichtiger als beten. Ich bete nicht um die Lösung eines Falls. Ich denke von morgens bis abends darüber nach, sogar meine letzten Gedanken vor dem Schlafengehendrehen sich darum, falls ich nicht zu betrunken bin. Und manchmal geschieht dann ein Wunder: Am Morgen wache ich mit der Lösung eines Problems auf, das mir beim Einschlafen als unlösbar erschien.«
    Julika schüttelte den Kopf, ganz leicht nur, doch trotzdem kritisch. »Aber es gibt Probleme, die sich nicht von selbst lösen, oder? Wenn ich morgens aufwache, geht es ihm immer noch schlecht – meinem Vater, meine ich –, und mir auch, egal, ob ich am Abend vor dem Einschlafen über uns nachgedacht habe oder nicht.«
    »Dann denk über etwas anderes nach«, sagte Van Leeuwen. »Du bist doch eine attraktive junge Frau. Gibt es denn außer deinem Vater keinen Mann, an den du vorm Einschlafen denken willst?«
    Unvermittelt huschte wieder eine leichte Röte über Julikas Gesicht, und der Glanz kehrte in ihre Augen zurück. »Doch, den gibt es sogar«, sagte sie. »Es gibt jemanden, an den ich sehr oft denke. Aber wenn daraus was werden soll, muss ich beten. Und zwar wirklich um ein Wunder.«
    »Also, wenn du schon beten willst, solltest du vielleicht einfach darum beten, dass du glücklich wirst. Das deckt doch so ziemlich alles ab, oder?«
    Julika lachte, ein fröhliches, kindliches Lachen. »Sie sind ein toller Mann, wissen Sie das?«
    »Blödsinn«, brummte Van Leeuwen.
    »Sind Sie jetzt immer allein hier abends? Fühlen Sie sich denn nie einsam?«
    »Nur wenn ich unter Menschen bin.«
    Das Telefon in der Diele klingelte. Der Commissaris spürte, wie sein Herz jäh aus dem Rhythmus geriet. Sein Gesicht wurde kalt und dann wieder heiß. Er sah auf die Uhr. Halb eins.
    Er stand auf und ging zum Telefon und hob den Hörer ans Ohr.
    Wie schwer diese altmodischen Hörer waren. »Van Leeuwen«, meldete er sich.
    Die Stimme am anderen Ende der Leitung gehörte nicht Doktor Ten Damme. Sie

Weitere Kostenlose Bücher