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Und was, wenn ich mitkomme?

Und was, wenn ich mitkomme?

Titel: Und was, wenn ich mitkomme? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Prawitt
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die machte mächtig Krach. Sie summte und brummte und zirpte und surrte wie eine riesige Insektenkolonie. Da half nicht mal Lärmstop in den Ohren. Und mich störte obendrein noch ihr helles Licht. Die beiden Fenster im Zimmer waren zwar winzig, aber eben immer noch groß genug. Verdunklungsmöglichkeiten gab es keine.
    Kein Wunder, dass ich am Morgen zerschlagen aufwache und schon — oder noch? — müde bin. Aber es hilft alles nichts. Vor uns liegt ein neuer Tag, und der Jakobsweg ruft. Schon bei den ersten Schritten macht mein Knie Theater. Der permanente Schmerz — schon die Angst davor — nimmt mir nicht nur jedes Glücksgefühl, er macht mich auch ungeduldig, und ich kann nur noch schwer freundlich bleiben. Ich habe keine Toleranz mehr für zusätzliche Schritte und ärgere mich, dass wir nicht gestern Wasser für den heutigen Tag gekauft haben, so wie ich es vorgeschlagen hatte. Warum hört hier eigentlich niemand auf mich? Jetzt müssen wir uns nämlich um Wasser kümmern. Aber die Läden sind alle noch geschlossen. So laufen wir ohne Wasser los, was mich ganz unruhig macht. Es gibt nicht mal café con leche, denn auf unserem Weg zum Camino kommen wir an keiner geöffneten Bar vorbei, und so frühstücken wir im Gehen bloß ein paar trockene Kekse.
    Die gelben Pfeile und Muschelwegweiser führen uns zu dem Strand, an dem wir gestern den Abend verbracht haben. In großem Abstand voneinander laufen wir über den weichen, gelben Sand, der für die Gelenke ein wahres Labsal ist. Ich ziehe auch sofort meine Wanderstiefel aus und kühle meine Füße in den heranschwappenden Wellen. Schweigend laufen wir knapp sechs Kilometer. Das Meer gibt mir Kraft, und die Sonne streichelt meine Seele. Langsam hellt sich meine Stimmung auf.
    Als wir am äußersten, westlich gelegenen Zipfel der Halbinsel von Laredo, in El Puntal, ankommen, bin ich schon wieder voller Zuversicht. An dieser Stelle schiebt sich das Meer weit ins Landesinnere, und wer keinen Umweg von bis zu 25 Kilometern machen will, der lässt sich von einer Fähre nach Santona übersetzen. Genau das ist unser Plan, aber weit und breit gibt es keine Anlegestelle. Wir laufen wie Tiger im Käfig am Wasser hin und her. Aber wir finden nichts: keinen Steg, keine Brücke, nichts. Dabei müsste es doch eigentlich so etwas geben. Denken wir jedenfalls. Aber wir sind hier in Spanien. Da laufen die Dinge anders als in Deutschland, wo alles seine Richtigkeit und seine Ordnung haben muss.
    Plötzlich tutet es. Ein Kutter rutscht auf den Strand, und ein Mann an Deck winkt mit beiden Armen. Er meint eindeutig uns. Es ist die Fähre, und der gute Mann will uns übersetzen. Ein Brett vom Deck herunter fungiert als Anlegestelle und Laufsteg in einem. Es geht also auch so. Wozu erst große Umstände machen? Das Ticket lösen wir direkt beim Käpt’n, und los geht’s. Die Fahrt dauert nur zehn Minuten. Aber wir genießen sie in vollen Zügen. Der Wind zerzaust unsere Haare, das Meer schimmert aquamarinblau, die Sonne haucht einen silbernen Schleier über die Küste.
    In Santona lagern wir an der Promenade an einem kreisrunden, flachen Brunnen, in dem ich mir den Sand von den Füßen wasche. Danach gibt es Kekse und Obst, und Pit holt in einem nahe gelegenen mercado mehrere Flaschen Wasser. Wasser ist Sicherheit, und ich bin froh, meinen Wassersack wieder auffüllen zu können. Wir sind noch ganz damit beschäftigt, da begrüßt uns einer auf Deutsch. Ob Christian uns eingeholt hat? Aber nein, es ist Gerd, mit dem wir vor der Herberge in Castro Urdiales so einen lustigen Abend verbracht haben. Ach, das war ja erst vorgestern. Aber uns scheint es ewig lange her zu sein, und wir freuen uns riesig, Gerd wiederzusehen. Wir beschließen, zusammen weiterzuwandern. Doch schon in der Fußgängerzone von Santona legen wir unsere nächste Pause ein. In einem Straßencafé gibt es endlich unseren heiß begehrten und lang ersehnten café con leche. Keiner drängelt, und so wird es Mittag, bis wir endlich weiterziehen. Weit sind wir heute noch nicht gekommen. Macht aber nichts. Denn wie sagt Doris immer so schön: »Wir sind doch nicht auf der Flucht!«
    Und weil das so ist, schieben Pit, Doris und Gerd auch noch einen Umweg ein. Unser Wanderführer empfiehlt nämlich, hier ausnahmsweise einmal den Jakobsweg zu verlassen, um »einen der schönsten Küstenabschnitte Nordspaniens in seiner wilden Faszination kennenzulernen« und das Felsmassiv von Buciero, das weit und hoch aus dem Meer ragt,

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