Und was, wenn ich mitkomme?
Gleichgültig wackelt sie vor uns her in den Gästetrakt des Klosters und öffnet für uns ein Zimmer zur Straßenseite. Gott sei es gedankt: Kein riesiger Schlafsaal, sondern vier saubere Betten erwarten uns. Befriedigt nehmen wir drei von ihnen in Beschlag und machen uns gleich ans Wäschewaschen. Nach einer schönen heißen Dusche geht es hinaus Richtung Strand. Unterwegs erstehen wir Brot, Wein und Oliven. Ich plädiere dafür, auch gleich Wasser für unsere morgige Wanderung einzukaufen. Aber Pit meint, er habe keine Lust, die schweren Flaschen den ganzen Abend über mitzuschleppen. Doris und mir geht es genauso, und ins Kloster zurück wollen wir auch nicht. Also bleibt es bei dem kleinen Proviant.
Am Meer würde ich mich am liebsten dicht am Wasser lagern. Aber Pit und Doris scheuen den Sand. »Also, ich habe keine Lust auf Körner im Brot«, versucht Pit mich zu überzeugen. Und Doris schlägt vor: »Da vorne an der Promenade gibt es Bänke. Lasst uns dorthin gehen.« Keine schlechte Idee, aber eben elend weit weg vom Wasser. Ich bin genervt. Wann — zum Kuckuck — komme ich heute endlich mal auf meine Kosten? Vor lauter Frust trinke ich mir einen kleinen Schwips an, was ohne eine solide Unterlage im Magen eine Leichtigkeit ist. Vom Alkohol ermutigt streife ich meine Sandalen von den Füßen, lasse Doris und Pit auf der Bank sitzen und renne durch den Sand bis zum Wasser. Die Wellen kommen mir freundlich entgegen, und ich patsche übermütig in ihnen herum. Plötzlich ist Pit neben mir. Er ist mir gefolgt, während Doris sich auf der Bank ausgestreckt und sich den Beutel mit unseren Essensresten als Kopfkissen untergeschoben hat. Sie genießt die Abendsonne, die noch angenehm warm ist. Pit und ich laufen Hand in Hand den Strand entlang, reden und schweigen und vergessen die Zeit. Auf einmal bin ich richtig glücklich. Wie schnell das hier geht, der Wechsel von Frust und Freude — manchmal so rasch, dass ich kaum hinterherkomme. Jetzt versuche ich es auch gar nicht, sondern lasse mich in den Augenblick fallen, ein Luxus, den ich mir in meinem Alltag zu Hause fast nie leiste. Warum eigentlich nicht?
Als wir endlich zu Doris zurückkommen, erwartet sie uns schon ganz aufgekratzt. Hat sie etwa den restlichen Wein getrunken? Nein, es ist auch noch genug für mich da. Wir prosten einander zu und werden immer alberner. Doris und ich können zusammen über Sachen lachen, deren Witz nur wir beide verstehen. Zum Beispiel, wie ich mich auf Spanisch für irgendeine Handreichung von ihr bedanke: »Muchas gracias« (Vielen Dank). Und sie, was antwortet sie? »Buenos dias«, was so viel heißt wie: Guten Tag. Mensch, Doris, es heißt: De nada (Keine Ursache). Aber anstatt ihr das zu sagen, lache ich mich fast kaputt über ihren kläglichen Versuch, schlagfertig auf Spanisch zu antworten. Und auch sie findet das Ganze irrsinnig komisch. Wir können gar nicht mehr aufhören zu lachen. »Die spinnen, die Weiber«, murmelt Pit, der Ausgeschlossene. Aber warum solche Situationen witzig sind, lässt sich nicht erklären, und man kann auch niemanden mit hineinnehmen, der nicht sowieso schon mit drin ist. Das ist nun die ausschließliche Zweisamkeit zwischen uns beiden Freundinnen. Punkt. Irgendwann kriegen wir uns zu Pits Erleichterung schließlich wieder ein.
Es ist schon merkwürdig: Dieser Tag hat mit so viel Erwartung begonnen, ist für mich dann frustig und immer frustiger geworden und endet nun so heiter und entspannt. Auf dem Camino kann sich alles in kürzester Zeit verändern und sich sogar in sein Gegenteil verkehren. Nichts ist so, wie es auf den ersten Blick erscheint. Das ist für mich eine starke emotionale Herausforderung, macht aber auch viel Hoffnung: Und morgen ist ein neuer Tag.
12. TAG LAREDO — NOJA
Als wir gestern Abend in unser Quartier zurückkehrten, versperrte uns eine offene Tür den Weg zu unserem Zimmer. Wir schauten in eine fensterlose und sehr lieblos eingerichtete Kammer: ein durchgesessenes Sofa, davor ein niedriger Tisch, ein laufender Fernseher. Und wer hing gelangweilt auf dem Sofa herum? Es war Christian. Er wirkte genervt und schien keine Lust auf Leute zu haben. Wer weiß, was er erlebt hatte? Wir ließen ihn in Ruhe. Denn auch für uns war der Tag lang gewesen. Jetzt freuten wir uns aufs Bett und auf eine ruhige Nacht. Aber daraus wurde nichts. Es gab zwar keinen Verkehrslärm und auch keine randalierenden Jugendlichen, nicht mal Hundegebell, aber dafür eine Straßenlaterne. Und
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