Und was, wenn ich mitkomme?
habe.
Entschlossen schnäuze ich mir die Nase, packe die Bibel wieder in ihr Rucksackfach und wende mich der schönen Landschaft vor dem Busfenster zu. Nach dem Meer allerdings halte ich vergeblich Ausschau. In Islares, einem winzigen Ort, in dem der Hund begraben liegt, steige ich aus und wende mich sofort unserem Treffpunkt zu, einem kleinen Kirchlein, das genau an dem Weg liegt, an dem Doris und Pit herauskommen müssen. Aber hier zu sitzen ist nicht besonders gemütlich. Also schlendere ich zu einem abgelegenen Kinderspielplatz, von dem aus ich den Wanderweg gut einsehen kann, schreibe Tagebuch, knabbere eine ganze Dose gesalzener Erdnüsse, lasse mich von der Sonne bescheinen, lausche Vögeln und Pferden und in der Ferne vorbeirauschenden Autos, halte mein Gesicht in den Wind und bemühe mich, die Zeit allein zu genießen. Gar nicht so leicht, wenn man nicht weiß, wozu das Alleinsein gut sein soll.
Ich mache es mir gerade an einer sonnenwarmen Mauer am Rand einer Wiese bequem, da entdecke ich Doris und Pit. Minuten später sind sie bei mir und erzählen begeistert von ihrem Weg. Zehn Kilometer in knapp zwei Stunden, ein Spaziergang, versichert Doris, völlig unangestrengt und genussvoll. Aber selbst diese Kinderwanderung hätte wohl mein Knie überfordert. Und was nun? Ich plädiere dafür, uns in diesem verträumten Örtchen eine Unterkunft zu suchen und den restlichen Tag irgendwo am Meer zu vertrödeln. Aber Doris streikt. »Was? In so einem Kaff, wo der Hund begraben liegt?« Und auch Pit ist nicht begeistert von meiner Idee. Die beiden wollen Stadtluft schnuppern. Ich dagegen könnte gut darauf verzichten, sofern ich das Meer an meinen bloßen Füßen spüren kann und wir irgendwo eine Flasche Wein, ein paar Oliven und ein Stück würzigen Käse auftreiben. Aber es steht zwei zu eins. Wieder einmal füge ich mich. Erwartungsvoll folgen Pit und Doris mir zur Bushaltestelle, deren Standort ich ja bereits kenne. Es ist ein kleines gläsernes Häuschen mit einer Bank, sonst nichts, kein Fahrplan, keine Liniennummern, nichts. Wir haben nicht die geringste Ahnung, wie wir von hier wegkommen sollen. Der erste Bus, der vorüberkommt und sogar hält, hat ein anderes Ziel. Aber der Fahrer versichert uns, dass in einer Viertelstunde der richtige Bus eintreffen wird. Oder meinte er eine Dreiviertelstunde? Zu guter Letzt müssen wir eineinviertel Stunden in sengender Sonnenglut aushalten. Ich muss dauernd heulen. Meine Tränen führen ein ganz merkwürdiges Eigenleben, und ich habe kein bisschen mitzubestimmen. Mist... Ich denke, wie schön es jetzt wäre, am Wasser zu sitzen statt an dieser Bushaltestelle. Dieser Gedanke allein scheint auszureichen, um wahre Sturzbäche aus meinen Augen zu treiben. Irgendwie bin ich einfach nur frustriert.
Zum Schluss sind wir alle erleichtert, als endlich der richtige Bus auftaucht und uns nach Laredo kutschiert. Der Bus fährt einen weiten Schlenker durch den Ort, sodass wir im gleichen Rutsch eine kleine Stadtführung bekommen. In der Nähe der Altstadt steigen wir aus und suchen zuerst einmal die Touristeninformation, um den Standort unserer Herberge herauszufinden. Doch die Info ist noch bis um fünf geschlossen, was wir uns eigentlich hätten denken können. Hier in Spanien ist in der Mittagszeit einfach nichts los. Alle Geschäfte und Dienstleistungsbetriebe öffnen erst wieder am späten Nachmittag ihre Türen für die Öffentlichkeit. Naja, für spanische Verhältnisse ist fünf Uhr nachmittags vielleicht noch längst nicht spät, sondern gerade die beste Zeit kurz hinter der Siesta. An solchen Erfahrungen merken wir, dass wir uns noch lange nicht auf spanische Gegebenheiten eingestellt haben.
Die Stunde bis zur Öffnung der Touristen-Information überbrücken wir in einem Café. Pit pult sich einen Splitter aus dem Arm. Den hat er sich gestern, als er mir den schrecklichen Pfad kurz vor Miño herunterhalf, eingezogen. Die Haut um den Splitter herum ist ganz rot. Doch eine Entzündung ist das Letzte, was er jetzt gebrauchen kann. Operation geglückt, Patient wohlauf.
In der Touri-Info holen wir uns einen Stadtplan. Mit seiner Hilfe finden wir rasch unsere Bleibe für diese Nacht: Ein Nonnenkonvent in einer Seitenstraße mitten in der Altstadt. Dort ist alles verriegelt und verrammelt, und wir müssen eine Weile warten, bis uns endlich eine Nonne öffnet. Sie trägt eine weiße Tracht, ist rundlich und ziemlich teilnahmslos. Besonders willkommen fühlen wir uns nicht.
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