Und was, wenn ich mitkomme?
und ich zwischen unseren Betten herum. Doris stammt aus der Eifel, und in sehr entspannten Situationen fällt sie gerne mal in ihren Heimatdialekt. So auch jetzt. »Annemi, i kann ne mi, et jet nit mi«, trällert sie, und ich probiere ein bisschen »Fremdsprache« aus und ahme sie nach, so gut ich kann. Doris findet meine Versuche zum Brüllen komisch. Und so artet das Ganze in einen fröhlichen Lachanfall aus. So ein Anfall kann ganz schön erschöpfen. Gut, dass wir uns gleich ins Bett fallen lassen können.
13. TAG NOJA — GÜEMES
Gut geschlafen habe ich nicht. Die ganze Nacht über hat mein Knie gezwackt, und ich wusste gar nicht, wie ich es lagern sollte, um einigermaßen Ruhe zu finden. Ich habe den Eindruck, eben erst eingeschlafen zu sein, da weckt mich Pit ganz leise und zärtlich. Er drückt sich an meinen Rücken und schlingt seinen Arm um mich. Heute ist mein Geburtstag, ein Tag, der nicht schöner beginnen könnte. Wir liegen eng umschlungen, flüstern miteinander und fühlen uns unter unserer Decke wie in einem Kokon. Langsam regt sich Doris in ihrem Bett, und Pit trollt sich ins Bad. Ich darf heute als Letzte aufstehen. Doris bringt mir zwei wunderschöne Geburtstagsgeschenke ans Bett: Eine Muschel, die sie gestern am Strand gefunden hat, und eine Packung Toblerone. Die werde ich für Notzeiten aufheben.
Um halb zehn treffen wir uns mit Gerd im Frühstücksraum des Hostals. Das Frühstück fällt für spanische Verhältnisse sehr üppig aus. Es gibt ein Buffet mit allem, was dazugehört. Doch das Beste ist die Flasche Sekt, die Gerd zur Feier des Tages spendiert. Mit Orangensaft gemischt trinken wir den Sekt bis auf den letzten Tropfen, und genauso angeheitert, wie der gestrige Tag ausgeklungen ist, geht es nun weiter. Wir brechen erst gegen elf Uhr auf. Für echte Pilger viel zu spät und eine Schande. Aber sind wir etwa Pilger? Ein Pilger ist einer, der eine Reise zu einer besonders heiligen Stätte unternimmt. Nun gut, wir laufen nach Santiago. Aber das Ziel ist für mich nicht so wichtig. Mir bedeutet der Weg weit mehr, und deshalb bin ich vielleicht eher ein Wanderer. Egal, Hauptsache, es geht endlich wieder los.
Heute verlassen wir die Küste und wenden uns dem Landesinneren zu. Sofort wird es ländlich — und es stinkt nach Gülle. Die Landschaft erinnert mich an die Gegend um Göttingen herum. Befremdlich sind nur die Dattelpalmen und die Feigen- und Zitrusbäume. Der Weg ist nicht besonders anspruchsvoll, aber wegen des vielen Asphalts beschwerlich für die Gelenke.
Die Sonne hält sich heute versteckt. Es ist bewölkt und windig, eine Erholung für unsere sonnenverbrannte Haut. Über Nacht haben sich auf meinen Beinen kleine rote Pusteln gebildet. Wahrscheinlich eine Sonnenallergie. Gut, dass die Sonne uns heute in Ruhe lässt. Zwischendrin zeigen sich aber auch immer wieder blaue Himmelsfetzen. Optimales Wanderwetter!
In einem verschlafenen Dörfchen besichtigen wir eine kleine Kirche, die entgegen unserer bisherigen Erfahrungen nicht geschlossen ist. Es ist still und kühl hier drin, und wir sind ganz allein, nur wir vier. Keiner sagt etwas, und ich weiß nicht, was es ist, die Kirche ist nicht besonders spektakulär, aber irgendetwas in diesem sakralen Raum berührt uns. Ich fühle mich wie im Gottesdienst und würde jetzt am liebsten singen. Und warum auch nicht? Ich habe heute Geburtstag und darf mir sicher etwas wünschen. »Macht ihr mit?«, frage ich Doris und Pit, »>Laudate omnes gentes<, dreistimmig?« Erst ist Doris noch ein bisschen unsicher. Aber schnell fällt sie in die Melodiestimme ein, und so können wir uns schon nach dem ersten Versuch in drei Stimmen aufteilen. Doris singt seit Jahren in einem Chor. Aber allein habe ich sie noch nie singen gehört, mal abgesehen von ihrem beschwipsten Gestern-Abend-Geträller. Ich habe gar nicht gewusst, was für eine schöne Stimme sie hat und wie gut wir miteinander harmonieren. Ich bin ganz ergriffen. Das ist wieder einer dieser Augenblicke, in denen man vor lauter Freude weinen möchte. Gerd scheint es genauso zu gehen. Still steht er an eine Bank gelehnt und hört uns zu. Glitzert es da nicht auch feucht in seinen Augen? Ich wünschte, wir könnten stundenlang so weitermachen. Pit und ich versuchen uns noch an einigen anderen Liedern. Aber irgendwann geht uns das Repertoire aus. Und dann ist der Moment auch schon vorbei. Aber die Freude bleibt, auch, als wir die Kirche längst hinter uns gelassen haben.
Pit schaut mich
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