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Und was, wenn ich mitkomme?

Und was, wenn ich mitkomme?

Titel: Und was, wenn ich mitkomme? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Prawitt
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Quartier in einem kleinen Nebenhaus. Es gibt zwei winzige Zimmer, die mit einem Durchgang verbunden sind. Die hintere Kammer ist höchstens einen Meter tief. An der Längsseite stehen schmale, gepolsterte Bänke, die heute Nacht als Bettstatt herhalten müssen. Kopf an Fuß rollen wir unsere Schlafsäcke auf dem schmalen Brett aus, meiner zwischen dem von Doris und Pit. Hoffentlich kullert da heute Nacht keiner herunter. Jean-Paul und Rachel sind beinahe zeitgleich mit uns eingetroffen, weshalb Ernesto annimmt, dass wir alle zusammengehören, und die beiden mit Gerd in das vordere Zimmer einquartiert. Das kann ja lustig werden...
    Aber zuerst befassen wir uns mit dem üblichen Prozedere: duschen, Füße pflegen, Wäsche waschen. Hier gibt es endlich mal eine ordentliche Wäscheleine, sogar — welch ein Luxus — unter einem Dachvorsprung, sodass die Wäsche die ganze Nacht an der frischen Luft hängen bleiben kann und wir das nasse Zeug nicht im ohnehin schon engen Zimmer unterbringen müssen.
    Um acht Uhr gibt es Abendessen. Bis dahin verteilen sich alle locker in der Scheune. Gerd sitzt am brennenden Kamin und raucht. Jean-Paul löst Kreuzworträtsel, und Rachel schwenkt ihre gewaschenen Unterhosen vor dem Feuer. Ich sitze auf einer der gepolsterten Bänke und schreibe in mein Tagebuch. Pit hat sich ausgestreckt, seinen Kopf in meinen Schoß gebettet und hält ein Schläfchen. Doris hat sich mit ihrem Tagebuch auf der anderen Seite der Scheune niedergelassen. Plötzlich geht die Tür auf, und Christian kommt herein. Ganz still setzt er sich neben Doris. Wie schön: Unsere »Pilgerfamilie« ist komplett! Lauter fremde Leute, und trotzdem so vertraut, dass man sich richtig freut, einander wiederzusehen und zusammen zu sein. Plötzlich sind da Menschen, mit denen man lacht und auch Schwierigkeiten teilt, ganz selbstverständlich. Wir sitzen alle in einem Boot, erleben die gleichen Situationen, laufen durch den gleichen Regen und unter der gleichen Sonne. Das verbindet ungemein, über Sprachen, Kulturen und persönliche Geschicke hinweg. Jeder darf sein, wie er ist. Und wieder frage ich mich: Warum ist das im »normalen« Leben so schwer? Mit den Menschen zu Hause müsste es eigentlich noch besser klappen, denn mit denen verbindet mich doch viel mehr? Oder etwa nicht?
    Auf diesem Weg denke ich viel über Beziehungen nach, ich weiß nicht, warum.
    Es treffen noch sechs Katalanen, ein Pärchen aus Deutschland, ein Holländer mit seiner französischen Freundin und Siggi aus Bayern ein, und zusammen sitzen wir um halb neun an dem langen Holztisch beim Abendessen. Es gibt Knoblauchsuppe, kalte Nudeln mit Soße und Tortilla, Obst zum Nachtisch und dazu reichlich Wein.
    Heute ist nicht nur mein Geburtstag, heute ist auch der Jahrestag eines monseratischen Heiligen, und die sechs Spanier haben Sekt dabei. Als Rachel verrät, dass heute mein Geburtstag ist, wird nicht nur auf den Heiligen, sondern auch auf mich angestoßen. Und ein lautstarkes »Happy Birthday« wird gleich hinten drangehängt. Feierlich erhebt sich einer der Katalanen, zieht aus seiner Hemdtasche eine blinkende Mundharmonika und spielt für seinen Heiligen und mich ein Ständchen. Alle lauschen andächtig. Danach erzählt Ernesto von seinen Reisen und von der Geschichte dieser Herberge. Wer kann, übersetzt, und alle warten geduldig, bis jeder alles verstanden hat. Keiner wird übergangen oder ausgeschlossen. Was für ein Unterschied zu dem Durcheinander, das ich sonst so oft erlebe! Da will jeder selbst zum Zug kommen und seine Geschichte loswerden, egal, ob es passt oder nicht oder ob sich überhaupt jemand dafür interessiert. Wenn das alle so machen... na ja, man weiß ja, was dabei herauskommt. Das Ganze klingt dann eher nach kriegerischer Auseinandersetzung statt nach friedlichem Beisammensein. Und der Lautstärkste gewinnt...
    Jetzt bin ich schon wieder beim Thema »Beziehung«. Aber was ich hier erlebe, macht eben nachdenklich. Offensichtlich kann es auch anders gehen. Gespürt habe ich das wohl schon immer oder mich doch zumindest danach gesehnt.
    Auch dieser Abend klingt mit viel Gelächter aus. Ernesto würde uns am liebsten noch seine 80 000 Dias zeigen oder wenigstens einen Teil davon. Müdigkeit ist ein akzeptierter Grund, sich aus der Affäre zu ziehen. Schließlich sind wir Pilger oder Wanderer oder beides... Ernesto zeigt Verständnis und entlässt uns in unsere überfüllte, enge Klause.

14. TAG GÜEMES — SANTANDER

    Pit und ich sitzen an

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