Und was, wenn ich mitkomme?
der Strandpromenade in Santander. Es ist windig und kühl. Trotzdem haben wir uns, anstelle eines ordentlichen Essens, ein riesiges Eis gegönnt — Luxus pur, auch, dass wir ganz allein hier sind. Wir reden und schweigen und schreiben Tagebuch und tauschen das Geschriebene aus, etwas, das wir uns längst angewöhnt haben und das schon zum Ritual des Schreibens gehört.
In Pits Tagebuch lese ich:
Nach einer unruhigen Nacht — zu schmales Bett, zu wenig Sauerstoff, zu warm, Jean-Paul schnarcht — frühstücken wir um acht Uhr und machen uns dann auf den Weg. Das ist jeden Tag aufs Neue ein toller Moment: Endlich wieder unterwegs sein, nicht wissen, wie der Weg ist, wo wir heute Abend sein und was wir erleben werden. Wir laufen durch hügeliges Land, über schmale Straßen, vorbei an Bauernhöfen, Wiesen, Palmen. Mit der Fähre setzen wir nach Santander über. Santander ist eine moderne Stadt. Aber ich habe keine Lust auf so viele Menschen.
Die Herberge ist interessant: Sie ist in einem Hochhaus untergebracht. Auf unserer Etage gibt es zwei Büros, und der Schlafsaal für die Pilger liegt genau Wand an Wand mit ihnen. Mit den Büroangestellten teilen wir Flur und Toiletten. In unserem Raum stehen dichtgedrängt acht Stockbetten, und alle sind belegt. Da sind zwei Brasilianer, zwei Französinnen, unsere zwei Kanadier, der Rest alles Deutsche. Die meisten von ihnen werden morgen mit der Bahn nach Burgos fahren, um den französischen Jakobsweg zu laufen. Eva und ich verbringen drei Stunden ohne Doris oder Christian in der Stadt. Es ist schön, allein mit ihr zu sein. Wir sind uns so nah.
Pit liest in meinem Tagebuch:
Heute habe ich nicht gut geschlafen, es hilft aber alles nichts. Punkt sieben müssen wir »raus aus dem Sack«. Im Regen machen wir uns auf den Weg. Christian ist wieder dabei und diesmal auch Siggi aus Bayern. Wir reden wenig, ich denke viel, zum Beispiel, dass ich zu Hause viel Austausch brauche, um meine Gedanken zu sortieren und zu verarbeiten. Hier erledigen das meine Beine: Ich laufe mir den Kopf frei. Welche Alternativen habe ich nach dem Jakobsweg? Überhaupt: Muss man eigentlich immer alles bis ins Kleinste bereden und dabei vielleicht sogar zerreden? Das Gespräch mit Doris gestern war richtig erfrischend: Kurz und knackig, und doch haben wir das Wesentliche gesagt. Aber das geht wohl nur, wenn beide Gesprächspartner sich auf derselben Ebene bewegen, das heißt, sich auch ohne viele Worte verstehen. Vielleicht reicht es auch schon, sich einfach stehen zu lassen, anstatt immer alles verstehen oder verstanden werden zu wollen?
Weiter komme ich nicht in meinen Überlegungen. Die Etappe heute ist kurz, nur knapp zwölf Kilometer. Die letzen zwei geht es am Strand von Somo entlang bis zur Anlegestelle der Fähre. Wir kommen an einer Surfschule vorbei, und Christian erklärt uns diesen faszinierenden Sport, die Wellenbewegungen und die Bedeutung des Windes. Was der Bengel alles weiß...
Der Regen hat sich verzogen. Aber es bauschen sich noch gewaltige, dunkle Wolken über dem Meer, wie auf einem kitschigen Foto, bloß viel lebendiger. Bei Sonnenschein erreichen wir Santander. Doris geht auf Stadterkundungstour, während Pit und ich uns in der noch menschenleeren Herberge aufs Ohr legen. Danach entdecken wir die Stadt auf unsere Weise. Zeit nur für uns... Schön!
15. TAG SANTANDER — SANTILLANA
Um acht Uhr müssen alle aus der albergue raus sein. 16 Leute in einem Zimmer mit nur zwei Toiletten und Duschen... Ich bin verwundert, wie gut das klappt, wie in einem Ameisenhaufen. Alle wuseln auf engstem Raum, jeder ganz zielstrebig und geordnet. Und siehe da: Punkt acht Uhr sieht es hier aus, als wäre nie etwas gewesen. Naja, so genau weiß ich das nicht, denn wir brechen schon früher auf, um rechtzeitig am Bahnhof zu sein. Wir haben uns dafür entschieden, mit dem Zug aus Santander herauszufahren. Wir haben nämlich keine Lust auf zehn Kilometer Straße und Asphalt. Christian ist wieder bei uns. Mit ihm, Doris und Pit teile ich meine Geburtstagstoblerone, die als erstes Frühstück genügen muss.
In Mogro gibt es dann richtiges desayuno (Frühstück). In einer Bar in der Nähe des Bahnhofs futtern wir dicke bocadillos und trinken Kaffee, und dann laufen wir los. Das Wetter ist wie aus dem Bilderbuch: blauer Himmel, klare Luft, angenehme Temperatur. Meinem Knie geht es besser, und ich bin glücklich. Pit auch.
Allmählich nehmen wir Tempo auf. 24 Kilometer liegen vor uns. Die Landschaft
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