Und was, wenn ich mitkomme?
beim Wandern ständig von der Seite an.
»Was ist los?«, will ich wissen.
»Du hast eben so gestrahlt«, sagt er, »weißt du eigentlich, wie schön du bist?«
Wie bitte? Zerzaust und in diesen ollen Klamotten? Ganz ohne Lidschatten und Wimperntusche? Na gut, Make-up benutze ich auch sonst eher selten. Aber meistens bin ich doch einigermaßen gekämmt und gewaschen und ordentlich gekleidet. Es ist nicht einzusehen, was an Schwitzflecken unter den Achseln, einer von einem schmuddeligen Haarband zusammengehaltenen Frisur, die mich wie eine Idiotin aussehen lässt, und an heruntergerollten Strümpfen in höchst uneleganten Schuhen attraktiv sein soll. Mein Gesicht ist sicher hochrot, ob vom Wetter oder vom Singen, kann ich nicht sagen. Aber ich habe das Gefühl, regelrecht zu glühen, und dieses Glühen fühlt sich an wie lauter Glück. Ob es das ist, was Pit so gut an mir gefällt? Vielleicht stimmt es ja, dass Schönheit ein Leuchten von innen ist. Daran kann auch der Regen nichts ändern, der anfängt frühlingsleicht auf uns niederzurieseln.
Später auf dem Weg treffen wir Rachel und Jean-Paul. Sie haben genauso wie wir ihre Regenkleidung überziehen müssen. Dicht an dicht trotten wir in gesprächigen Zweiergrüppchen hintereinander her wie auf einem Klassenausflug. Als der Regen nach einigen Kilometern aufhört, erreichen wir eine kleine, geschwungene Brücke. Wir positionieren uns vor dem gemauerten Geländer, damit Rachel uns fotografieren kann. Und dann verabschieden sie und Jean-Paul sich von uns. Die beiden wollen sich einen Picknickplatz suchen, während wir nach Barayo und zur nächsten Bar streben. Es ist mal wieder Zeit für café con leche. Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zu unserem heutigen Ziel, der Pilgerherberge in Güemes.
Gerd und Pit sind schon fast außer Sichtweite, während Doris und ich immer weiter zurückfallen. Wir reden miteinander, so intensiv wie auf dem ganzen Weg noch nicht, und ich wünschte, wir würden noch lange nicht an unserem Ziel ankommen. Denn dieses Gespräch ist für mich wie ein besonderes Freundschaftsgeschenk. Obwohl es mich zuerst auch erschreckt. Denn Doris beginnt mit einer Kritik, oder nein, keiner Kritik. Es ist eher etwas, das sie immer an mir gestört hat: mein Überschwang oder, wenn ich traurig bin, das genaue Gegenteil, mein »Unterschwang«. Ich widerstehe dem Impuls, mich zu rechtfertigen, und höre erst mal nur zu. Und dann kommt es. »Auf diesem Weg habe ich gemerkt, dass das, was ich sonst an deinen Reaktionen oft so übertrieben finde, eigentlich bloß ein Ausdruck deiner Lebensfreude ist«, sagt Doris. Was für eine Bestätigung! Was für ein »Ja« zu meiner Person und zu meinem Verhalten. Und damit hört sie längst nicht auf. »Ich will nicht, dass du dich änderst. Ich wollte dir bloß etwas über mich sagen.« Und dann fügt sie noch hinzu: »Ich bin so froh, dass du meine Freundin bist.« Mitten auf der Straße bleiben wir stehen und umarmen uns, als wären wir ganz allein auf der Welt, nur wir beide. Und vor lauter Freude über so viel ehrliche und liebevolle Freundschaft weinen wir zusammen ein paar Überschwang-Tränen. Ganz eindeutig: Dieser Weg macht etwas mit unseren Emotionen. Aber das ist gut so, denn mir scheint, dass so auch Wesentliches sichtbar wird. Für dieses kurze Gespräch jedenfalls bin ich unendlich dankbar.
Jetzt müssen wir uns sputen. Pit und Gerd haben schon in der Herberge eingecheckt, und wir stolpern ein bisschen orientierungslos hinter ihnen her. Die Herberge in Güemes wird von Pater Ernesto mit Hilfe seiner beiden Schwestern und einer Handvoll Ehrenamtlicher geführt. Es gibt ein Haus mit Toiletten und Duschen und eine Scheune, die zu einem gemütlichen Esszimmer ausgebaut worden ist. Darin steht ein langer Holztisch, an dem bequem 20 Leute auf einmal Platz finden. Es gibt eine kuschelige Ecke mit offenem Kamin und langen, gepolsterten Bänken. Die Wände sind aus ockerfarbenen Natursteinen gemauert, dazwischen Fachwerk, in das unzählige Fotos und Zeitungsausschnitte gepinnt worden sind. Sie zeigen Pilger oder Momentaufnahmen von Ernestos vielen Reisen. Kaum haben wir unsere Rucksäcke abgesetzt, da werden wir schon gefragt, ob wir Hunger haben, und bei Vivaldi-Musik — die »Vier Jahreszeiten« — werden Berge von Kartoffelsalat, Brot, Obst und Wein aufgetischt. Es ist eine unglaubliche Atmosphäre, freundlich locker und unaufdringlich gastlich und dämmrig behaglich.
Nach dem Essen beziehen wir unser
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