Und was, wenn ich mitkomme?
ist wieder sehr abwechslungsreich, rechts das Meer, links die Berge. Unser Weg verläuft über flache, sattgrüne Hügel. In der Ferne blitzen schneebedeckte Zweitausender. Wir könnten schon wieder außer uns geraten vor lauter Wanderfreude. Langsam entfernen wir uns vom Meer. Die gelben Jakobsmuschelwegweiser führen uns immer tiefer in das Landesinnere hinein. Pit und ich marschieren flott voraus, Doris und Christian zockeln gemütlich hinterher. Kilometerweit geht es entlang einer Pipeline durch ein Industriegebiet auf einem staubigen Weg. Ziemlich langweilig. Christian holt auf und verkürzt uns angenehm die Zeit, indem er von seinen vielen Reisen berichtet. Seit seinem 22. Lebensjahr gibt er seinem Fernweh nach, wann immer Zeit und Finanzen es erlauben. Er hat schon eine Menge von der Welt gesehen, und wir quetschen ihn ordentlich aus. Wir kommen aus dem Staunen nicht heraus: Wahnsinn, was man in fünf Jahren alles sehen, erleben und erreisen kann! Wir sind fast ein Vierteljahrhundert älter als er, aber was das Reisen angeht, sind wir noch Babys.
Gegen zwölf Uhr picknicken wir auf einer Blumenwiese kurz hinter Roquejada. Es gibt Kakao, Kuchen, Joghurt und Bananen, alles eben in einem kleinen Laden an der Straße gekauft. Nach dem Essen träumen wir eine gute Stunde in der Sonne, Köpfe auf den Rucksäcken, Wanderstiefel aus und Füße im Gras. Doris und Christian schlummern. Aber Pit und ich haben heute Hummeln im Hintern. Wir drängen zum Aufbruch, obwohl wir früh dran sind und noch eine Menge Zeit haben. Bis zu unserem Ziel ist es nicht mehr weit, jedenfalls laut Wanderführer. Aber der kann ja nicht wissen, dass wir ungewollt einen Umweg von mindestens fünf Kilometern laufen. Bisher haben wir uns noch kein einziges Mal verlaufen. Aber einmal ist das erste Mal. Und das ist jetzt.
Bis Barreda geht noch alles gut. Das Städtchen zieht sich und will kein Ende nehmen. Doch plötzlich sind wir schon am Ortseingang von Torrelavega. Hab ich es nicht gleich gesagt, dass wir nicht unter der Autobahnbrücke durchgemusst, sondern schon lange vorher hätten rechts abbiegen müssen? »Meiner Meinung nach an dem lila Haus am Kreisel«, sagt Doris. Aber unser weibliches: »Siehst du... wenn... und aber...« hilft jetzt auch nicht weiter. Jetzt muss eine Entscheidung getroffen werden: Sollen wir umkehren oder versuchen, irgendwie anders auf den Camino zurückzufinden? Echte Pilger kehren nicht um, deshalb wählen wir die zweite Möglichkeit und marschieren noch ein gutes Stück an der Stadtautobahn von Torrelavega entlang, bis wir bei der nächsten Gelegenheit rechts abbiegen. Es geht an einem Militär- oder Marinegelände entlang, riesige Gebäudekomplexe, unzugänglich umzäunt. Es gibt nicht mal einen Durchschlupf, um irgendwo eine Toilette zu finden. Da bleibt Doris und mir nichts anderes übrig, als uns in das Gestrüpp unter einer Brücke zu ducken. Erleichtert wandern wir weiter an einem Fluss entlang. Und sieh mal einer an: Steht da drüben am anderen Ufer nicht ein lila Haus? Dann stoßen wir auch wieder auf die gelben Jakobspfeile. Das war nun eine ziemlich weite Schleife, aber wir sind alle fröhlich geblieben. Mein Knie hat prima mitgemacht. Ich habe Kraft und bin motiviert. Die anderen offensichtlich auch. Ein Belohnungskaffee für die vielen zusätzlichen Kilometer muss trotzdem sein. Hinter einer Kurve entdecken wir eine Bar mit dem merkwürdigen Namen »Perro« — Hund. Aber der café con leche ist lecker, und dann werden wir noch mit einem Schauspiel besonderer Art überrascht. Genau über uns hinweg rauscht ein Schwarm von 13 Störchen, lang gestreckte Hälse und Beine, rote Schnäbel, wolkig-weißes Gefieder vor blauem Himmel. Einmalig schön!
Gegen vier erreichen wir unsere Herberge, dank Doris. Kurz vor Santillana nämlich versperren uns Baufahrzeuge den Weg. Was nun? Sollen wir durch den Matsch hindurch daran vorbeigehen oder einfach quer über die Wiesen in die Richtung laufen, in der wir unser Ziel vermuten? Pit und Christian sind schon fast außer Hörweite über das Gras verschwunden. Aber Doris hält heute nichts mehr von Experimenten. Sie stakst an den Baufahrzeugen vorbei den Weg hinauf. Auf der Höhe angekommen, fuchtelt sie wild mit den Armen: Hier gibt es einen gelben Pfeil. Also spurte ich hinter den Männern her und treibe sie zu Doris zurück. Wenig später erreichen wir unsere Herberge Arcos Iris.
Eine kleine, rundliche Omi empfängt uns sehr herzlich mit Limonade. Sie plappert
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