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Und was, wenn ich mitkomme?

Und was, wenn ich mitkomme?

Titel: Und was, wenn ich mitkomme? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Prawitt
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Zisterzienserkloster, in dem wir heute übernachten, in kürzester Zeit ganz ohne Auf und Ab erreicht. Und wer sich den Ort unbedingt ansehen will, kann das ja wohl auch selbst entscheiden.
    Das Kloster ist von außen sehr imposant, von innen aber ziemlich schmuddelig, jedenfalls der Teil, der für Pilger offensteht. Doris, Pit und ich werden von einem Mönch in ein Dreibettzimmer geführt. Vor den Betten liegen Läufer, die so speckig sind, dass sie von allein loslaufen könnten. Pit schiebt sie kurzerhand unter die Betten. Die sind auch nicht besser. Wieder einmal sind wir froh, unsere Seidenschlafsäcke dabeizuhaben, die uns und unsere Schlafsäcke vor dem Schlimmsten schützen. Trotzdem bin ich erleichtert, am Ziel zu sein, und diesmal nicht nur wegen meines Knies. Heute schmerzen auch meine Beine. In den Oberschenkeln spüre ich den ersten Muskelkater, und die Fußsohlen brennen von dem ewigen Asphalt. Aber weder Pit noch ich haben eine Blase. Die gute Vorsorge zu Hause macht sich jetzt bezahlt. Schon Wochen vor Reiseantritt haben wir jeden Abend sorgfältig unsere Füße mit Hirschtalg eingecremt, bis sie weich wurden wie Babyhaut. Jetzt zeigt sich, dass sie so weit weniger anfällig für Blasen sind als harte Hornhauthufe. Und jeden Morgen bevor wir loswandern, tragen wir wieder eine dicke Schicht unserer Wundersalbe auf. Können wir jedem Pilger nur empfehlen.
    Wir sind dabei, uns einzurichten. Pit steht noch unter der Dusche, Doris föhnt sich schon die Haare, da platzt unsere Hamburgerin herein und baut sich vor uns auf wie ein Denkmal. Nanu, wo kommt die denn so plötzlich her? Die Zimmertür gegenüber steht sperrangelweit offen. Es ist ein Dreibettzimmer wie unseres, aber offensichtlich nur von einer Person belegt. Auf dem Bett liegt ein ausgerollter und zerwühlter Schlafsack, der so aussieht, als hätte jemand den ganzen Nachmittag darin verbracht. Daneben stehen Wanderschuhe, nagelneu wie aus dem Laden. In denen ist heute keiner mehr als 200 Schritte gelaufen. Eindeutig: Unsere Nachbarin ist mit dem Bus gefahren.
    »Ich gehe jetzt einkaufen«, verkündet sie, »kommt jemand mit?« Keine Einleitung, keine Begrüßung, sie hat sich wieder nicht vorgestellt. Was ist denn das für ein Benehmen? Ich muss mich sehr zusammennehmen, um nicht unfreundlich zu werden. »Wir sind noch nicht so weit«, erkläre ich, was vielleicht nicht besonders klug ist, denn jetzt wartet sie womöglich auf uns, und was dann? Jedenfalls schickt sie sich an, genau das zu tun, und bleibt stur und starr, wo sie ist. »Hör mal«, sage ich, »wenn du das nächste Mal was von uns willst, wäre es mir lieber, du würdest anklopfen. Das ist hier nicht wie in anderen Herbergen, wo es einen gemeinsamen Schlafraum gibt. Hier sind Zimmer so was wie eine Privatsphäre.« Ich weiß nicht, ob sie begreift, was ich meine. Sie guckt mich nur aus großen Augen an. Doris rubbelt wie verrückt ihre Haare vor Verlegenheit. Vielleicht habe ich mich für ihren Geschmack zu ablehnend ausgedrückt. Aber ich bin noch nicht fertig. »Ich find’s jedenfalls nicht so toll, wenn mein Mann jetzt aus der Dusche kommt und dann steht da plötzlich eine fremde Frau vor seiner Nase. Und ich glaube, ihm würde das auch nicht gefallen.« Der Hamburgerin entgleiten die Gesichtszüge. Aber sie fasst sich schnell, wirft beleidigt den Kopf in den Nacken und rauscht ohne ein Wort aus dem Zimmer. »Da geht sie dahin, unsere Lieselotte«, lästere ich und weiß selbst nicht, wie ich auf diesen Namen komme. Ich kenne niemanden, der so heißt.
    Unsere Tür steht noch offen, da schaut ein neues Gesicht um die Ecke, eine junge Frau mit schwarzen Haaren und keckem Grinsen. Sie allerdings kommt nicht herein. Hat sie unser Gespräch mitbekommen? Nein, sie scheint einfach bloß taktvoller zu sein. »Do you have some womenthings for me?«, fragt sie. Klar doch, hier hilft man einander, auch wenn man sich nicht kennt, sofern man sich pilgermäßig verhält. Wo man sich, wie es auf dem Camino gar nicht anders geht, so dicht auf die Pelle rückt, dass man jeden Schnaufer, jede Stimmungslage voneinander mitbekommt, müssen gewisse unausgesprochene Regeln eingehalten werden. Regel Nummer eins: Man nähert sich zurückhaltend und respektvoll und prüft erst mal die Lage. Hier gibt es nämlich keine Rückzugsmöglichkeiten, weder für den anderen noch für einen selbst. Da muss man zusehen, wie man bei großer Nähe noch genügend Distanz wahrt. Alles nicht so einfach, aber durchaus

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