Und was, wenn ich mitkomme?
Korallen und blank geschliffene Scherben eingelassen worden sind. Im Gegensatz zu der rauen Oberfläche von Steinen und Muschelkalk fühlen sich Glas und Keramik glatt und kühl an. Schwer hängt der Duft von Wachsen und Welken in der Abendluft. Es singen kaum noch Vögel.
Und dann bittet Anna um Einlass beim Bildhauer. Selbst sein Haus wirkt wie ein Kunstwerk. Es ist aus ungeglätteten, grauen Steinen gemauert. Über die Vorderseite des ersten Stockwerks zieht sich ein von Säulen getragener Balkon, Geranien auf der Brüstung, in jeder Mauerritze weiße Gänseblümchen, ein Treppenaufgang, der von einem Mädchen aus Stein bewacht wird, Farne und Moose zwischen den Stufen, ein von Rosen umwuchertes Geländer. Anna wird begrüßt wie eine alte Bekannte und wahrscheinlich ist sie das auch. Jedenfalls dürfen wir alle das Haus betreten. Das untere Stockwerk beherbergt einen einzigen großen Ausstellungsraum. Auf Podesten stehen Statuen, an den Wänden hängen Plastiken und jede von ihnen erzählt eine Geschichte. Wir stehen lange und betrachten und lauschen und schweigen vor Staunen. Und dann begleiten wir den Bildhauer in seine Werkstatt, die vollgestopft ist mit Werden und Entstehen. Wir können uns kaum umdrehen.
Unser Gastgeber erklärt auf Spanisch, Anna übersetzt ins Englische, wir wiederum übertragen ins Deutsche. Dabei bleibt das meiste auf der Strecke. Aber die Vielsprachigkeit tut auch diesmal der Atmosphäre keinen Abbruch. Stundenlang könnten wir dem alten Mann zuhören und verweilen an diesem verwunschenen Ort, der uns ganz unserem eigenen Erleben entrückt. Als wir durch die kleine Pforte in der Mauer wieder auf die Straße hinaustreten, ist es, als erwachten wir aus einem Traum. »What are you saying?«, will Anna wissen. Vor Begeisterung finden wir keine Worte. Anna strahlt.
Und dann marschieren wir zum Poeten, wo Doris und Moni schon einen Tisch für alle reserviert haben. Wir bestellen Wein und eine Platte mit Käse, Schinken und Oliven. Anna übernimmt das Gespräch und passt auf, dass keiner von ihrem vorgegebenen Thema abweicht. Sie lässt sich mit dem Poeten fotografieren und hält Hof wie die Königin des Tages. Ob wir wüssten, dass sie die beste Tarte de Santiago zubereiten könne? Das Original natürlich, und wir müssten sie unbedingt mal in Oxford besuchen, damit sie diese typisch galizische Köstlichkeit aus Mandeln für uns backen kann. Die Mädels sind pikiert über so viel Unbescheidenheit. Aber ich packe den Stier bei den Hörnern. »Why not?«, entgegne ich fröhlich, »Please, give me your address.«
Aber so hat Anna das nun doch nicht gemeint, und rasch schwenkt sie auf ein anderes Thema um. Ich hake auch nicht weiter nach, denn wer uns so ein Highlight verschafft hat wie den Besuch im Garten des Bildhauers, der hat wohl ein bisschen Nachsicht verdient. Aber große Lust, weiter auf Anna einzugehen, verspüre ich auch nicht mehr. Deshalb klinke ich mich aus dem Gespräch aus, zücke mein Tagebuch und beginne zu schreiben. Dieser Tag war wunderbar wohltuend und voller überraschender Höhepunkte, Hoffnung für das, was als Nächstes kommt...
36. TAG BAAMONDE — MIRAZ
Wir brechen auf im verheißungsvollen Nebel, und tatsächlich lässt die Sonne nicht lange auf sich warten. Der Weg ist wieder einmal wie aus dem Bilderbuch: Erst geht es ca. zwei Kilometer an der N 634 entlang, dann über eine schöne alte Brücke zu einer Kapelle, hinter der ein von Farnen umwucherter Tümpel liegt, in dem sich die Baumkronen und dahinter der Himmel spiegeln. Grün und blau verschwimmen ineinander, gesprenkelt von hellen Sonnentupfern. Heute können wir die Fleecejacken in den Rucksack packen. Wandern im T-Shirt ist angesagt.
Es geht bergauf durch eine herrliche Heide-Ginster-Landschaft und dann durch einen Wald aus jungen Eichen und alten Kiefern. Der Weg ist sandig mit vielen Quarzanteilen, sodass es zu unseren Füßen funkelt wie Silber. Die Blätter der Eukalyptusbäume raunen, immer wieder plätschert ein Bächlein hinter der Böschung. Dörfer, in denen die Zeit stehen geblieben zu sein scheint, vereinzelt Menschen, manchmal Hunde hinter den Zäunen, ein paar Kühe auf den Wiesen.
Wir ruhen uns aus auf einem Rastplatz an einem Steintisch und schreiben Tagebuch. Unsere Wanderschuhe stehen neben uns auf der steinernen Bank, die Füße baumeln im Gras. Grillen zirpen, Vögel pfeifen und ein Kuckuck ruft, Insekten summen, die drei A-Mädels kommen vorbei: »Hola« und »Hasta luego« (Bis
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