Und was, wenn ich mitkomme?
Frust von gestern ist fast vergessen.
Nach einem kurzen Nickerchen besuchen wir um sieben Uhr die Messe... Für unsere evangelisch-deutschen Ohren sehr gewöhnungsbedürftig. Dann geht es noch mal in die Bar Central auf ein paar Bierchen und gute Gespräche. Habe lange mit Uli über meinen Glauben gesprochen. Eva ist nicht dabei. Sie ist schon vor Stunden in ihren Schlafsack gekrabbelt. Gegen halb elf machen wir anderen es ihr nach. Gute Nacht!
34. TAG MONDOÑEDO — VILALBA
Wir haben so lange geschlafen wie noch nie. Trotzdem lassen wir uns Zeit, denn schon gestern haben wir entschieden, die heutige Etappe von 36 Kilometern mit dem Bus zurückzulegen. Mir tun nämlich immer noch der Rücken und der Bauch weh, Pit sticht es in den Fersen und obendrein schüttet es mal wieder wie zu Noahs Zeiten. »Außerdem ist heute Sonntag, da soll der Mensch ruhen«, grinst Pit.
Wir sind erst um Viertel nach neun in der Bar, wo wir zu unserer Überraschung die drei A-Mädels beim Frühstück antreffen. Auch sie haben sich für den Bus entschieden und sogar schon Busstation und Abfahrtszeit ausgemacht. Wir brauchen uns bloß noch anzuhängen.
Der Bus fährt gegen elf Uhr, und 40 Minuten später treffen wir in Vilalba ein. Es ist nicht leicht, die Herberge zu finden, und im Nieselregen stolpern wir kreuz und quer durch die Straßen. Schließlich entdecken wir den modernen Bau kurz vor der Stadt hinter einem Kreisel, den wir vorhin schon mit dem Bus passiert haben. Die Herberge ist sehr geräumig, aber für unseren Geschmack zu düster. Innen gibt es dunkelgraue Betonwände, außen eine fast schwarze Schieferverkleidung. Aber die Schlafräume sind sauber und für Männer und Frauen getrennt. Wir fünf sind bisher die einzigen Gäste und können daher die Regeln bestimmen. Doris, Uli und Petra sind einverstanden, dass Pit sich bei uns im »Frauen-Schlafzimmer« einquartiert, sodass wir uns nicht trennen müssen.
Die Herberge füllt sich noch mit fünf Spaniern und einer Engländerin. Von den Spaniern bekommen wir so gut wir nichts mit. Die Engländerin allerdings sucht sich ein Plätzchen in unserem Raum. Sie heißt Anna, stammt aus Oxford, ist 74 Jahre alt und eine echte old english lady. Sie ist vor Jahren den Camino schon einmal gelaufen und will jetzt zwei Wochen im zwei Tagesmärsche entfernten Miraz ehrenamtlich als hospitalera arbeiten.
Anna macht es sich in ihrem Schlafsack gemütlich, während wir anderen zum Essen aufbrechen. Bis zur Kneipe sind es ungefähr zwei Kilometer. Die müssen wir nachher wieder zurück. Aber das macht nichts, denn erstens hatten wir heute noch keine sportliche Herausforderung, und zweitens ist uns das Laufen schon selbstverständlich geworden. Zu fünft zockeln wir los, albern herum, führen aber auch tiefe und inhaltsvolle Gespräche. Immer wieder fließen Aspekte unseres Glaubens ein und Pit und ich genießen es, so ungezwungen über unsere Gottesbeziehung zu reden. Wir müssen die Gelegenheiten nicht suchen, sie ergeben sich ganz von allein. Einzige Voraussetzung ist, dass wir bereit sind, Rede und Antwort zu stehen. Aber das fällt uns leicht, weil in unserem Grüppchen jeder auf den anderen hört und Meinungen stehen gelassen werden, Fragen ehrlich sind und Antworten auch. Pit und ich erleben es beide als sehr wohltuend, wie offen und nah wir miteinander umgehen, ohne einander verpflichtet zu sein. Jeder kann frei von Erwartungen sagen, was er meint, und ebenso frei für sich entscheiden. Wir können uns tagsüber trennen, weil wir nicht aus Pflichtgefühl heraus zusammenbleiben müssen. Im Gegenzug freuen wir uns jeden Abend aufs Wiedersehen. Wer weiß, vielleicht bleiben wir bis Santiago zusammen. Das wäre toll!
Zurück in der Herberge schenkt Pit mir eine herrliche Arnika-Rückenmassage. Wir werden unterbrochen von lautem Hallo. Moni ist angekommen. Sie ist am Morgen um sieben Uhr bei strömendem Regen aufgebrochen. Wie es ihr wohl bei diesem Sauwetter auf dieser langen Strecke ergangen ist? Sie ist erschöpft, aber fröhlich und erzählt begeistert von dem traumhaft schönen Weg, der leicht zu laufen gewesen sei, trotz des Höhenunterschiedes von knapp 600 Metern. Und auch der Regen hat hin und wieder beschlossen, woanders niederzugehen, sodass sie tatsächlich ein paar wohlige Sonnenmomente erlebt hat. Pit und ich nehmen uns vor, irgendwann einmal diese Etappe nachzuholen. Moni richtet sich häuslich ein und wir räumen für sie ein Plätzchen auf unserer
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