Und was, wenn ich mitkomme?
bald), dann wieder nur die Laute der Natur. Ich strecke mich auf der Bank aus, lege meinen Kopf in Pits Schoß und träume in den Himmel.
»Ich hätte Lust, mit unseren Jungs ein oder zwei Wochen hier langzulaufen. Vielleicht den Camino Primitivo«, stellt Pit sich vor.
Sofort wandern meine Gedanken nach Hause. Wie lange habe ich schon nicht mehr an Deutschland und die Kinder gedacht? Jetzt vermisse ich plötzlich unsere drei Kinder und unsere zwei Schwiegerkinder, dazu unsere beiden Enkelsöhne. Ich würde gerne wieder mit ihnen zusammen sein. Gleichzeitig will ich aber unbedingt im Augenblick bleiben, den Moment genießen, wie er ist, hier in Spanien sein und weiterlaufen. Ich bin noch nicht am Ziel. Anstatt Pit zu antworten, schiebe ich meine Hand unter sein T-Shirt. Unsere Pause dehnt sich zu einem behaglichen Schmusestündchen aus, weshalb wir im Verhältnis zur Länge der heutigen Etappe von schlappen 16 Kilometern recht spät in der albergue ankommen.
Die ist der Knüller: Es gibt warme Duschen, saubere Betten und ein herzliches Willkommen. »Do you want coffee or tea ?«, begrüßt uns die hospitalera. So etwas hat es noch nie gegeben, und mit Kaffee und Keksen genießen wir noch vor dem Duschen den weiträumigen Garten, in dem schon die Socken und Handtücher unserer A-Mädels auf den Leinen flattern. Die Herberge wird von zwei Engländerinnen geführt, die gerade ein vierzehntägiges Volontariat beenden und morgen von Anna aus Oxford und einer Französin abgelöst werden. Alle vier sind selbst schon einmal den Camino gelaufen und wissen aus eigener Erfahrung, was einem Pilger nach einem langen Wandertag guttut. Wir bekommen das auf sehr angenehme Weise zu spüren und werden nach allen Regeln der Gastfreundschaft verwöhnt.
Am Abend sitzen wir zusammen im Garten. Anna hat Wein besorgt. Wir anderen steuern bei, was die Rucksäcke an Essbarem hergeben. Und dann wird gemütlich getäfelt. Leider nimmt die Dominanz unserer » very british old lady« dem Beisammensein die Leichtigkeit, und auch, als Anna sich nach dem Essen zurückzieht, kommt keine rechte Fröhlichkeit mehr auf. Schon um halb neun liegen wir alle in unseren Schlafsäcken. Die Mädels schmökern oder hören über Kopfhörer Musik aus ihren mp3-Playern. Pit schläft bereits, ich schreibe Tagebuch und lese Pits Eintrag in seinem. Ich bin irgendwie geschafft, hat er geschrieben. Mir fällt auf, dass dies das erste Mal ist, dass er seine eigene Schwäche benennt. Ich kann sie ihm gut nachfühlen...
37. TAG MIRAZ — SOBRADO DE MONXES
Die Sonne hat uns aufgeweckt; auf dem liebevoll gedeckten Frühstückstisch stehen brennende Kerzen und Wildblumensträuße in Wassergläsern. Der Abschied ist genauso herzlich wie gestern das Willkommen. Es wäre schön, noch ein bisschen zu bleiben, aber 27 km liegen vor uns. Es wird Zeit aufzubrechen.
Das Merkmal der heutigen Wanderung ist eine duftige Heide- und Ginsterlandschaft auf einem felsigen Hochplateau. Ganz plötzlich wachsen aus den Wiesen Felsen heraus — bizarr und eindrücklich — und unterbrechen die kilometerweite Fernsicht. Die Wolken drücken schwer und bauschig auf den Horizont. Es riecht nach Regen. Die ersten zwei Stunden wandern Pit und ich zusammen mit Rachel und Felix, die gestern spät in Miraz eingetroffen sind und mit denen wir uns erst heute Morgen etwas vertraut gemacht haben. Die beiden haben sich vor zwei Jahren auf dem französischen Weg kennengelernt und sind seither ein Paar.
Wie der Camino doch das Leben verändern kann. Wie er sich wohl auf uns auswirken wird? Werden unsere Erfahrungen kurzlebig sein oder Beständigkeit behalten? Wird der Weg uns dauerhaft verändern oder werden wir so in unseren Alltag zurückkehren, wie wir aufgebrochen sind, mit nichts als unseren Erinnerungen an diese schönen, schmerzlichen Wochen?
Rachel ist Engländerin, und wir können in einem guten Gespräch über unsere Erlebnisse auf dem Weg, unsere Beweggründe, ihn zurückzulegen, und über unsere Hoffnungen für die Zukunft unsere Sprachkenntnisse aufmöbeln — ich meine englischen, sie ihre deutschen. Wir sind beide nicht besonders gut in der Sprache des anderen. Aber die Suche nach dem richtigen Wort hilft dabei, das zu sagen, was man wirklich meint, und sorgfältig zuzuhören. So versteht man einander auf einer viel tieferen als nur der sprachlichen Ebene. Und wieder ist da diese Nähe, die wir schon in so vielen Gesprächen mit anderen gespürt haben. Immer geht es auf dem Camino um
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