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Und was, wenn ich mitkomme?

Und was, wenn ich mitkomme?

Titel: Und was, wenn ich mitkomme? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Prawitt
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Häuser, schmale Gassen, die nach nirgendwo führen. Mit Sack und Pack kehren wir im »Galicia« ein, ein Restaurant, das ein echter Geheimtipp ist. Der Gastraum steht voller alter Möbel, die Vitrinen und Regale quellen über vor Kitsch und angeschlagenem Nippes. An der Wand klebt ein Stromzähler aus vorsintflutlicher Zeit mit lebensgefährlicher Verkabelung. Aber die Attraktion ist der Inhaber dieser schmucken Schenke, der »Poet«, ein klapperdürres, weißhaariges Männlein, das aussieht wie eine Mischung aus Gollum aus Herr der Ringe, Dschingis Khan und einem tibetischen Mönch, und der seinen Namen dem einzigen Versband verdankt, den er je in seinem Leben verfasst hat. Stolz zeigt er uns zwischen Suppe und Fleisch sein dünnes Werk und liest uns zum Nachtisch einige Gedichte vor, obwohl wir nicht ein einziges Wort verstehen. Erst zum Kaffee legt er sein Büchlein zur Seite, um für uns das tiefschwarze Getränk aus einem bauchigen Kessel direkt in unsere Tassen zu schöpfen, köstlich...
    Gestärkt machen wir uns zwei Stunden später auf den Weg zur Herberge. Und die übertrifft angesichts des verlotterten Städtchens alle unsere Erwartungen. Hinter einem grün gestrichenen Eisenzaun verbirgt sich eine lang gezogene Scheune, die sehr geschmackvoll ausgebaut worden ist. Es gibt eine überdachte Veranda, einen von Bäumen und Büschen eingefassten 'Rasenstreifen mit Wäscheleinen und an der Längsseite der Wiese Dusch- und Toilettenhäuschen. Das Innere der Herberge wirkt luftig und modern. Über einem weitläufigen Speise- und Aufenthaltsraum erhebt sich eine Galerie mit mindestens 20 Stockbetten. Leider dürfen wir — aus was für Gründen auch immer — nicht dort oben unsere Schlafsäcke ausrollen, sondern werden von der hospitalera zu einer winzigen fensterlosen Kammer geführt, in der wir alle sechs übernachten sollen. Pit zerrt kurz entschlossen die Matratze aus einem der Betten und zieht damit in den geräumigen Aufenthaltsraum, während wir fünf Frauen uns in unserer Klause einrichten. Alle sind mal wieder sehr diszipliniert, und so stört die Enge nicht. Ohne große Absprache ist klar, dass die Tür sperrangelweit geöffnet bleibt, damit keinem die Luft ausgeht. Niemand von uns hat Lust, sich länger als unbedingt nötig hier drin aufzuhalten. Und so verteilen wir uns unter den Duschen und auf der Veranda.
    Der Nachmittag tröpfelt träge zwischen Situationskomik und Schweigen dahin. Die Sonne verwöhnt uns und versilbert den Garten, unser Gemüt und überhaupt den ganzen Tag. Sie hat so viel Kraft, sie macht sogar den Frust der letzten Tage beinahe wieder gut. Petra und Doris haben sich auf der Wiese ausgestreckt und singen Kirchenlieder. Pit und ich hocken auf den sonnenbeschienenen Randsteinen zwischen Wiese und Veranda, wo ich Pit mit meiner Nagelschere die Haare schneide, was Moni sofort fotografieren muss. Das Bild erhält den Titel »Pilgeralltag«. Und dann zaubert Moni aus irgendeinem Winkel eine Flasche Wein und lässt sie kreisen.
    Inzwischen ist auch Anna eingetroffen. Nachdem sie sich eingerichtet hat, nimmt sie couragiert die Abendgestaltung in die Hand: Wein beim Poeten. Aber vorher müssen wir sie unbedingt zum Bruder des Poeten begleiten, der Bildhauer ist und ganz in der Nähe wohnt. Die Mädels wollen sich nicht bestimmen lassen, sondern lieber ihre schweren Beine hochlegen. Nur Uli, Pit und ich lassen uns überreden — und bereuen es keine Sekunde.
    Anna führt uns durch Straßen, die wir niemals in diesem schmucklosen Örtchen vermutet hätten, mit reinlichen Häusern und hübsch angelegten Vorgärten, alles sehr still und friedlich. Und dann stehen wir plötzlich vor einer schmalen Pforte in einer zwei Meter hohen Natursteinmauer. Beherzt drückt Anna die Klinke herunter. Pit und ich tauschen zweifelnde Blicke. Ob wir hier einfach so eindringen dürfen? Aber Anna schiebt uns durch den Durchgang und auf einmal finden wir uns in einer Märchenwelt wieder. Wie von Zauberhand versteinerte Zwerge, Feen und Fabelwesen ducken sich zwischen Farnen und Wildblumen. In die Rinde der Bäume sind Eichhörnchen und andere Waldtiere geschnitten. Ein Liebespaar umarmt sich innig in einem steinernen Pavillon, eine unbekleidete Frau streckt sich auf einer Liege aus Granit aus, die mitten in einem Teich steht. Am vom Wind gekräuselten Wasser blühen blaue Iris und gelbe Sumpfdotterblumen. Aus den Ritzen eines Monolithen wuchern Steinbrechgewächse, zwischen die Halbedelsteine, Muscheln,

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