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Und was, wenn ich mitkomme?

Und was, wenn ich mitkomme?

Titel: Und was, wenn ich mitkomme? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Prawitt
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zusammen gefrühstückt hat, macht sich schon auf den Weg, während wir in aller Ruhe unsere Sachen packen. Bis nach Muxía, dem heutigen Etappenziel, sind es höchstens 17 Kilometer, nichts, was uns nach dem gestrigen Tag erschrecken würde. Und genauso wie gestern können wir auch heute unsere Regencapes im Rucksack lassen. Wir tragen bloß T-Shirt und kurzgezippte Hosen.
    Der Weg selbst erweist sich als pures Genusswandern. Es gibt nur wenige Steigungen, und weicher Sandboden schont unsere Gelenke. Vor uns breiten sich Kiefern- und Eukalyptuswälder und eine von Felsen durchsetzte Heidelandschaft aus. Ständig weht ein milder Wind. Auf einer Anhöhe mit herrlichem Panoramablick über sanfte, dicht bewaldete Hügel finden wir den idealen Rastplatz: ein in eine Mauer eingelassener Brunnen, aus dem klar und kühl Trinkwasser sprudelt. Daneben ragt ein steinernes Kreuz auf einem Sockel in den Himmel. Auf dem Sockel hat es sich bereits das Ehepaar von heute Morgen gemütlich gemacht. Bereitwillig rücken sie zusammen und machen uns Platz unter dem Kreuz. Was für ein Symbol!
    Ich fühle mich geborgen wie selten. Hier gibt es Wasser aus der Quelle und Schutz unter dem Kreuz, dazu freundliche Menschen, Ruhe und die Schönheit der Natur. Der Wind streichelt mein Gesicht, mein Bauch verdaut genüsslich Äpfel und Brot, meine Beine entspannen sich, alles Zeichen von Lebendigkeit. Ich spüre mich — aber diesmal nicht durch Anstrengung und Schmerz, sondern durch Wohlbehagen und Genuss. Am liebsten würde ich dieses Gefühl für immer bewahren. Pit und ich bleiben schließlich auch länger als nötig. Die beiden anderen sind längst verschwunden, während wir noch schweigend den Moment genießen. Wir reden nicht, aber das Schweigen ist erfüllt von etwas Neuem, so, als sei alles gesagt. Ich weiß, dass das vielleicht niemals der Fall sein wird. Es wird immer neu Gedachtes, neu Erlebtes und Erfahrenes geben, über das es sich auszutauschen lohnt. Aber für den Moment liegt eine Ruhe zwischen uns, die keine Worte braucht. Für mich fühlt sich das fremd, aber schön und unbeschwert an und so, als sei endlich etwas gut.
    Wie viel haben wir in den vergangenen Tagen miteinander geredet... Wie viel haben wir uns gegenseitig voneinander gezeigt... von dem, was wir wollen, und von dem, was wir befürchten. Und mit welcher Offenheit und Bereitschaft haben wir aufeinander gehört, so, dass wir schließlich eine gemeinsame Entscheidung treffen konnten, in der niemand sich als Verlierer fühlen muss, weil jeder in seinen Bedürfnissen ernst genommen wird und beide bestrebt sind, dass jeder bekommt, was er braucht und sich wünscht. Es genügt, Pit bloß anzusehen, um zu merken, dass es ihm gerade genauso geht wie mir. Er lächelt mich an, und das ist so schön, dass ich ihn auf der Stelle umarmen könnte. Und warum auch nicht? Wir sind allein hier. Wir stören niemanden und niemand stört uns. Ungestörtheit: Auch das ist ein besonderes Geschenk des Jakobsweges, das hilft, die Dinge neu zu bedenken und sich dann auch neu zu verhalten. War es nicht das, wonach ich mich gesehnt und wonach ich gesucht hatte? War nicht das der Grund, weshalb ich überhaupt aufgebrochen bin?
    Kurz vor Muxía kommen wir durch dichter besiedeltes Gebiet, vorbei an Höfen, Scheunen und Stallungen. Bauern winken uns zu, Hunde kläffen hinter uns her, überall blüht es üppig. An den Obstbäumen reifen mediterrane Früchte. Pit hangelt mit langem Arm über eine Gartenmauer und pflückt eine frische Zitrone, die wir uns teilen und im Gehen auslutschen. Sie schmeckt herrlich spritzig und frisch und längst nicht so sauer, wie die, die wir zu Hause kaufen. Dann geht der Endspurt über eine lang gezogene Düne, hinter der Strände mit kristallklarem Wasser liegen, und wieder diese berauschende Weite des Atlantiks. Ich hätte Lust, hierzubleiben und ins Meer zu tauchen. Diesmal bin ich mir sicher, dass Pit meiner Bitte entsprechen würde, und wenn nicht, dass ich in der Lage wäre, meinen Wunsch durchzusetzen. Aber diesmal hindern mich nicht seine, sondern meine eigenen Vorbehalte: das eisige Wasser, die nassen Haare, vor allem der nasse Badeanzug, dann auch die Zeitverzögerung, Muxía, das nur noch einen Katzensprung entfernt liegt und das wir endlich erreichen wollen... Diesmal treffe ich meine eigene Entscheidung, auch wenn sie mir im ersten Moment nicht gefällt. Aber was heißt das schon? Haben wir nicht festgestellt, dass es weder richtige noch falsche

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