Und was, wenn ich mitkomme?
Christen in der Schlacht von Clavijo (bei Logroño) zum Sieg zu führen.
Nach den Erfahrungen der letzten Wochen ist mir Glaube immer mehr zu etwas geworden, das einem nicht selbstverständlich zur Verfügung steht, sondern eher etwas, um das man ringt und für das man sich jeden Tag neu entscheidet. Wie viel Tiefe und Überzeugungskraft, wie viel eigene Betroffenheit und Berührung mit Gott braucht es, um sich dem Glauben zu öffnen und schließlich auch persönliche Konsequenzen zu ziehen?
Trotzdem hat diese in meinen Augen höchst unglaubwürdige Jakobus-Geschichte (Woher wusste man z.B., dass die im Wald gefundenen Knochen nicht von einem Wildtier, sondern von Jakobus stammten — in einer Zeit, wo wissenschaftliche Untersuchungen keine wirklich zuverlässigen Ergebnisse bringen konnten?) dazu beigetragen, dass die Stadt Santiago entstand und obendrein eine Pilgerbewegung, der die Gläubigen bis heute folgen.
Aber über Glaube lässt sich nicht streiten. Glaube lässt sich wohl nur erfahren und bezeugen. Und dieses Kirchlein ist eben ein echtes Zeugnis spanisch-katholischer Mariengläubigkeit, die ich in ihrer Gradlinigkeit und Treue ziemlich beeindruckend finde. Die Kirche ist denn auch sehr sehenswert. Aber für diesmal haben wir genug von Kunst, Kultur, Legenden und Geschichte.
Jetzt wollen wir zur Touristen-Information, denn dort können wir die Muxía-Urkunde bekommen, die uns als solche Pilger ausweist, die es bis ans Ende der Welt geschafft haben. Im Kopf des bunt bebilderten Dokumentes steht denn auch: »Muxía, Fin da ruta Xacobea« — »Muxía, Ende des Jakobusweges«. Wir haben es geschafft. Und vielleicht ist es genau das, warum uns die Muxía-Urkunde so viel mehr bedeutet als die Compostela, die wir in Santiago bekommen haben. Aber was ist schon ein Papier?
Zurück in der Herberge stopfen wir die Muxía-Urkunde neben die Santiago-Compostela in unsere Rucksäcke, duschen, nehmen die Wäsche ab, die endlich einmal sauber und trocken geworden ist, und setzen uns zum Abendausklang auf die Dachterrasse. Wir genießen Brot, Käse und Wein und warten auf den Sonnenuntergang. Aber wir sind beide müde. Mittlerweile sind weitere Pilger eingetroffen, und obwohl es im Schlafraum noch sehr bewegt zugeht, legen Pit und ich uns gegen neun aufs Ohr. Morgen früh um halb acht fährt unser Bus nach La Coruña.
48. TAG MUXÍA — LA CORUÑA
Aus Evas Tagebuch:
In der albergue geht es in aller Frühe schon sehr geschäftig zu, denn alle wollen den Bus erreichen, den Bus nach Santiago. Nur Pit und ich steigen in den nach La Coruña und sind für eine gute Stunde die einzigen Fahrgäste. Die Landschaft ist sehr steinig und reich bewaldet.
An unserem Zielort angekommen, erklärt uns an der Estación Autobus ein Angestellter in der Gepäckaufbewahrung sehr euphorisch seine Stadt: La Coruña. Wir lassen uns gerne von seiner Begeisterung mitreißen. Die Stadt ist aber auch wirklich schön: viel Grün, breite und fröhlich belebte Straßen, Häuser, an denen sich bis in die obersten Stockwerke verglaste Balkone hinaufziehen, was luftig und transparent und sehr hell wirkt. Kein Wunder, dass La Coruña die gläserne Stadt genannt wird.
Wir laufen am Hafen vorbei und durch einen hübschen, kleinen Park und kehren gegen elf Uhr in einem Café mit dem denkwürdigen Namen »Gasthof« ein. Wir bestellen ein verspätetes desayuno: café con leche und churros, in Fett gebackene Teigteilchen. Es sind gerade angenehme 19 Grad. In der Touristen-Information holen wir uns einen Stadtplan, Informationen für den Camino Inglés und ein hostal-Verzeichnis. Alle Übernachtungsmöglichkeiten sind teuer, bis auf eines, das Hostal Palacio. Aber der Name allein hört sich schon so herrschaftlich an, dass wir lieber nach einer Alternative Ausschau halten. Leider ohne Erfolg, sodass wir uns zu guter Letzt doch fürs Palacio entscheiden. Ich zeige auf ein altehrwürdiges Patrizierhaus mit schönen Stückarbeiten und einem runden Erker und meine nur zum Spaß: »Hier werden wir heute übernachten.« Und wer hätte das gedacht: Der vierte Stock dieses Hauses beherbergt tatsächlich unser hostal. Wir steigen eine imposante, sich schneckenförmig windende Treppe in einem prachtvollen Treppenhaus hinauf und fühlen uns an den Anfang des vorigen Jahrhunderts zurückversetzt. Das hostal selbst ist zwar sehr schlicht, aber riesig. Hier sind bestimmt zwei oder drei Wohnungen zu einer zusammengelegt worden. Die hospitalera führt uns denn auch durch
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