Und was, wenn ich mitkomme?
auch von unseren eigenen Entschlüssen abhängig?
In den letzten Wochen habe ich erlebt, wie schwer es ist, sich gerade in Zeiten der Schwäche und des Schmerzes zu einer eigenständigen Entscheidung durchzuringen. Keep smiling und ein bisschen positives Denken allein reicht da längst nicht aus. Aber ich habe auch erfahren, dass ich nicht den Umständen ausgeliefert sein muss, sondern selbst bestimmen kann. Mal klappt das besser und mal weniger gut. Manchmal sieht es sogar so aus, als gäbe es keine Alternative, und manchmal fühle ich mich zu schwach und unfähig, um die Initiative zu ergreifen. Trotzdem scheinen freiwillige Entscheidungen zumindest eine Möglichkeit zu sein, auch die Möglichkeit, noch mal neu anzufangen.
Während ich mich selbst im Spiegel betrachte, habe ich auf einmal den Eindruck, als hätte ich das alles schon immer gewusst, und plötzlich weiß ich auch woher, nämlich aus der Bibel. Keine Ahnung, warum ich gerade jetzt darauf komme, aber auf einmal fallen mir lauter biblische Geschichten ein, besonders die Heilungsgeschichten. Jesus fragt darin beinahe immer: Was willst du? Und er selbst sagt auch: Ich will, dass du — oder dein Kind oder dein Knecht oder wer auch immer — gesund wird. Klar, gesund zu werden hat ganz viel mit guten Ärzten und Medikamenten, mit guten Behandlungsmethoden und natürlich mit Zeit zu tun. Und manch einer wird nie gesund, letztendlich sterben wir alle an irgendetwas. Selbst die Leute, denen Jesus geholfen hat, sind irgendwann gestorben. Aber vielleicht bewirkt Jesu Berührung viel mehr als nur Gesundheit und vielleicht auch sein und unser lebensbejahendes »Ich will«. Auch wenn eine Willensentscheidung nicht immer dazu führt, dass alles unproblematisch und gut wird, hilft sie vielleicht doch dazu, dass etwas in der Seele heil werden kann.
Ich trockne mir die Hände an Papiertüchern ab, die in ihrer Schlichtheit kaum zu diesem Ambiente passen, und kehre zu unserem Tisch und zu Pit zurück.
»Was ist los? Warum lachst du so?«, will er wissen.
»Geh mal aufs Klo«, fordere ich ihn auf, »und sag mir, was du darüber denkst.« Und beim Weiterwandern tauschen wir uns über Armaturen, Fliesen und Keramiken aus. Ist schon komisch, welche Gespräche sich auf dem Camino ergeben...
Cabanas ist mit dem Nachbarstädtchen Pontedeume durch eine 600 Meter lange Brücke über den Fluss Eume verbunden. Die Brücke stammt aus dem 14. Jahrhundert und steht auf 79 Bögen aus soliden Natursteinen. Sie ist so breit und groß, dass sie früher sogar über eine Kapelle und ein Pilgerhospital mit 12 Betten verfügte. Heute rauscht nur noch Verkehr darüber.
Im Ort selbst gönnen wir uns erst ein Eis auf die Hand, und dann geht es sehr steil bergauf auf schönen Altstadtstraßen. Oben am Ortsausgang bietet sich uns ein wunderbarer Rundumblick auf die Bucht von Betanzos und auf Ares. In der Ferne erkennen wir im blaugrauen Dunst sogar die Industrieschornsteine von Ferrol. Und dann wird es anstrengend: Ständig müssen wir rauf und runter, und wir erinnern uns an unsere ersten Etappen im Baskenland.
Unterwegs begegnen wir einem holländischen Ehepaar, das den Camino Inglés zurückläuft. Mit ihnen können wir unsere Begeisterung über diese schöne Gegend und das Wandern teilen. Es ist immer toll, mit jemandem zu reden, der die gleichen oder ähnliche Erfahrungen macht wie man selbst. Man erkennt sich schnell als Pilger und freut sich immer an Gemeinsamkeiten. Auf dem Camino Inglés sind Wanderer selten und jeder Austausch kostbar.
Der weitere Weg führt durch Wälder und fette Wiesen und vorbei an reinlichen Dörfern. Wir kommen an einem weitläufigen, neu angelegten Golfplatz vorüber und an steril wirkenden Neubaugebieten voller senfgelber und orangerot verputzter Reihenhäuser. In der Ferne rauscht wieder die Autobahn, und dann erreichen wir nach einem steilen Abstieg unseren Zielort Miño, der sich uns mit sehr farbenfrohen und verwinkelten Häusern recht verspielt präsentiert. Die Wegführung des Camino gibt uns mal wieder reichlich Gelegenheit zu einer kleinen Ortsbesichtigung.
»Durch die Brust ins Auge«, sagt Pit. Er hat recht: Manchmal muten uns die gelben Pfeile wirklich unnötige Umwege zu. »Na ja, der Pilger soll sich ja nicht freuen, sondern büßen«, fügt er ironisch hinzu. Aber heute überwiegt die Freude. Der Weg war zwar anstrengend, aber nicht besonders weit. 23 Kilometer stellen nach der Kondition, die wir uns in den vergangenen Wochen zugelegt
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