Und was, wenn ich mitkomme?
ab und landen schließlich auf einem großzügigen quadratischen Platz. Ganze Familien sitzen auf Bänken und niedrigen Mauern. Kinder spielen auf der freien Fläche und eine alte Frau lockt Tauben mit Brot herbei. Die Vögel lassen sich in Scharen auf ihren Schultern, Armen und Händen nieder und flattern erschrocken auf, wenn Kinder vorüberlaufen.
Uns scheint es, als ob die Menschen hier niemals müde werden. Bis spät in die Nacht hinein flanieren sie auf den Straßen, reden miteinander, spielen mit ihren Kindern und lachen. Alles ist sehr fröhlich und laut. Aber wir haben für heute genug. Leider wird es in unserem Zimmer auch nicht leiser. Was anfangs als Vorteil erschien — die großen Fenster und die Nähe zur Innenstadt — erweist sich jetzt als echter Schlafkiller. Wir knipsen noch einmal das Licht an, kramen unsere Tagebücher und Kulis heraus und schreiben auf, was wir an diesem Tag erlebt haben.
Pit notiert zu guter Letzt:
Wir haben noch 10 Tage in Spanien... Buenas noches!
Und in mein Tagebuch schreibe ich:
Pit hat sich aus La Coruña ein kleines Andenken mitgebracht: einen Sonnenbrand auf der Brust.
An Schlafen ist noch nicht zu denken. Aber zu nahe können wir uns wegen Pits gerösteter Haut auch nicht kommen. Gegen ein Uhr stopfen wir uns schließlich Ohropax in die Ohren. Es ist schon merkwürdig: Das, was vernünftig, hilfreich und naheliegend ist, fällt einem meistens erst ganz zum Schluss ein.
... dass ich überall anfangen kann zu sagen, was ich sagen möchte, und alles ein neuer Anfang und nie ein Ende ist.
EVA NAOMI WATANABE
aus: Gedankenspäne
51. TAG FERROL — NEDA
Aus Pits Tagebuch:
In der Bar um die Ecke frühstücken wir leckere Schokocroissants. Auf das Frühstück freue ich mich immer besonders, denn ein guter, kulinarischer Start in den Tag ist für mich ganz wichtig.
Und dann machen wir uns auf den Weg zur Stadtverwaltung, die am anderen Ende der Altstadt, aber immerhin in unserer Richtung liegt, in der Hoffnung, dort ein Verzeichnis der albergues auf dem englischen Weg zu bekommen. Bevor wir überhaupt an irgendeinen Schalter kommen, werden wir kontrolliert wie Terroristen: Unsere Rucksäcke werden durchleuchtet, und wir selbst müssen durch eine Metalldetektorsperre wie auf einem Flughafen. Sehr merkwürdig, aber vielleicht auch nötig wegen des vielen Marinemilitärs in dieser Stadt? Keine Ahnung... Leider bekommen wir auch nicht viele neue Informationen über den Camino Inglés. Aber wenigstens wird uns hier ein ordentlicher Pilgerausweis ausgehändigt, und ein hübscher, blauer Ferrol-Stempel wird auch gleich hineingedrückt. Und dann kann es endlich losgehen.
Wir genießen das Laufen sehr, obwohl der Weg ziemlich unattraktiv ist. Wir kommen an Stränden vorbei, die wegen der Ebbe nicht mehr sind als stinkende Schlickgruben. Aber wenigstens ist der Weg sehr gut ausgeschildert. Er leitet uns durch Industrie- und Hafengebiet, unter Bundesstraßen und Autobahnen hindurch.
Gegen zwei kommen wir schließlich in Neda an. Am Fluss neben der Brücke liegt die Herberge. Leider ist sie noch bis um sechs geschlossen. So suchen wir uns eine Bar und essen dort menu del dia für schlappe 7,50 Euro. Ganz lecker und reichlich. So bringen wir eine Stunde herum und eine weitere mit Einkäufen. Jetzt sitze ich vor der Herberge an einem Holztisch unter zwei Bäumen und warte. Eva ist noch mal in die Bar gegangen und versucht dort, irgendwie telefonisch den hospitalero zu erreichen, um ihn zum Früherkommen zu überreden, während ich den Tag Revue passieren lasse.
Auf dem Weg hierher haben Eva und ich uns über unsere unterschiedlichen Wesensarten unterhalten: Ich kann es nur schwer aushalten, ohne Programm zu sein. »Leerlauf« liegt mir nicht. Ich brauche immer etwas zu tun. Dass man Wartezeit auch als »Denkzeit« nutzen könnte, kommt mir nicht in den Sinn. Eva ist da ganz anders. Sie sagt, dass jedes Glitzern auf dem Meer für sie wie ein Gedanke ist und jeder Windhauch wie ein Eindruck. Sie wünscht sich, sich mehr mit mir darüber austauschen zu können — auch zu Hause. Das Wichtigste scheint uns beiden aber zu sein, dass jeder bekommt, was er braucht, und sich keiner als Verlierer fühlen muss. Ob wir das hinbekommen?
Gegen Viertel nach vier erscheint unser hospitalero und schließt uns die Herberge auf. Er überlässt uns den Schlüssel, da wir bis jetzt die einzigen Pilger sind. Die Herberge ist zwar erst Baujahr 2002, aber schon sehr verlottert. Ich greife
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