Und was, wenn ich mitkomme?
nur alte Männer, Sport im Fernsehen und irisch anmutende Musik. Ich bin gerade in melancholischer Stimmung — vielleicht wegen der Musik, vielleicht wegen des fehlenden Zugehörigkeitsgefühls (außer mir sind hier höchstens noch ein oder zwei andere Frauen), vielleicht aus Sehnsucht nach meinem Schlafsack. Doch Pit geht es richtig gut. Sein Gesicht strahlt und seine Augen leuchten. Es ist so schön, seine Freude zu sehen!
52. TAG NEDA — MIÑO
Wir brechen gegen neun Uhr auf. Die gelben Pfeile zu finden ist nicht schwer. Vertrauensvoll folgen wir ihnen durch enge Gassen und verborgene Winkel. Und siehe da: auch in so einem Industrieort wie Neda verstecken sich schöne, romantische Ecken. Wir kommen an der Kirche der Heiligen Maria vorbei und am Heilig-Geist-Pilgerhospital. Die letzten 500 Jahre haben davon allerdings bloß noch ein paar Mauern stehen gelassen, an die das jetzige Rathaus im alten Stil angebaut wurde. Eine Freitreppe, die für die Enge der Straße viel zu breit ist, führt zum Portal hinauf. Wir aber marschieren ungerührt daran vorbei.
Bis zu unserem Etappenziel Miño sind es sicher 23 Kilometer. Der Weg klettert aus der Stadt heraus langsam aber stetig nach oben und beschert uns quer über den Ria de Ferrol eine herrliche Fernsicht. Ort schließt sich an Ort an, und wir bestaunen bunt gestrichene Häuser mit Dächern in allen möglichen Formen und Farben, mit Fenstern, die klar wie Kinderaugen in die Landschaft blicken, und mit Treppen, an denen sich verschnörkelte Geländer zur Haustür hinaufwinden. Wie es wohl wäre, in einem dieser schmucken Häuschen zu leben?
Wir selbst besitzen auch ein Haus, und viele Besucher haben uns bestätigt, dass es schön, gut durchdacht und sehr praktisch ist. Trotzdem — ich weiß nicht, wer von uns damit angefangen hat — plötzlich träumen wir vom Häuslebauen und davon, wie es wäre, es selbst noch einmal zu versuchen, wie es wäre, etwas Neues zu gestalten, etwas, das wir miteinander entwickeln, woran wir gemeinsam arbeiten und das wir uns zusammen vertraut und zu unserem Zuhause machen können. Die Häuser in dieser Gegend haben unsere Fantasie angeregt und während wir auf weichen Wiesenpfaden das Gewerbegebiet von Fene umgehen, planen wir und spinnen — miteinander und jeder für sich. In meinem Kopf entwerfe ich Grundrisse und spiele ein bisschen Architektin.
Ganz gegen unsere Erwartung durchqueren wir auch heute wieder einen Eukalyptuswald. Danach geht es ziemlich dicht unter oder über der Autobahn entlang, ein Stück auch parallel zu ihr. Aber das stört uns nicht, weil wir fast nur auf asphaltfreien Wald- oder Feldwegen laufen und außerdem so mit unseren Baufantasien beschäftigt sind, dass wir den Verkehr fast nicht wahrnehmen. Kurz vor Cabanas hangeln wir uns auf einem schmalen Weg über einen Bach an einer Mühle vorbei, umrunden auch hier ein Gewerbegebiet und erreichen schließlich den Strand von La Magdalena.
Kindergruppen — Pfadfinder oder Sportvereine — lärmen am Wasser, und am liebsten hätten wir mitten im fröhlichen Treiben einen Kaffee getrunken. Aber alle Strandbars sind geschlossen. Obwohl es sicher niemals umgesetzt werden wird, male ich für Pit meinen Hausentwurf in den Sand: einen Bungalow mit viel Fensterflächen und ineinander übergehenden, weitläufigen Räumen, die sich um einen Hof gruppieren und Innen und Außen miteinander verbinden. Pit nimmt mir den Stock, mit dem ich die Linien in den Sand gezogen habe, aus der Hand und bringt seine eigenen Ideen mit ein. Und dann suchen wir uns ein Stück abseits eine Bar, wo wir unsere café con leche -Pause einlegen.
Wie immer, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet, benutze ich auch hier die Toilette. Sie ist in einem fensterlosen Raum untergebracht, der wie zum Ausgleich für das fehlende Tageslicht sehr großzügig und mit edlen Materialien ausgestattet ist: schwarze Fliesen und riesige Spiegelflächen, designte Waschbecken und Kloschüsseln. Alles ein bisschen übertrieben und so, wie ich es in unserem neuen Haus bestimmt nicht haben will. Auf jeden Fall wird es im Badezimmer ein Fenster geben...
Beim Händewaschen grinse ich mir im Spiegel selbst entgegen: Merkwürdig, wie ernst ich unser kleines Fantasiegebilde nehme. Aber es macht Spaß... Und warum auch nicht? Gedanken allein schaden niemandem, und wer weiß? Der Camino hat so viel angestoßen, Grenzen aufgezeigt, aber auch Möglichkeiten. Wer kann schon sagen, was daraus wird? Und ist das, was wird, nicht
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