Und was, wenn ich mitkomme?
haben, keine allzu große Herausforderung mehr dar. Und die Strecke war abwechslungsreich, voller überraschender Ausblicke und angefüllt mit neuen Ideen.
Kurz vor der Herberge treffen wir auf einen Spanier. Er steckt in Arbeitskleidung, und obwohl er nicht mehr der Jüngste ist, werkelt er fröhlich an seinem Haus herum. Als wir ihn über den Gartenzaun hinweg nach der Pilgerherberge fragen, lässt er sofort sein Werkzeug fallen und — was für eine Überraschung — antwortet uns in deutscher Sprache. Er heißt Manuel und hat in den 60er-Jahren in Emden beim Schiffsbau gearbeitet. Wir brauchen uns also gar nicht zu wundern. Bereitwillig bietet er an, uns zur albergue zu begleiten und bei der Stadtverwaltung anzurufen, bei der der Herbergsschlüssel hinterlegt ist. Er könne dafür sorgen, dass jemand kommt und uns aufschließt. Alles klappt hervorragend und Manuel nutzt die Zeit, um seine Deutschkenntnisse aufzufrischen. Er spricht recht flüssig, und wir erkundigen uns, wie er sich auf dem Laufenden hält. Wahrscheinlich begegnen ihm nicht alle Tage deutsche Pilger, mit denen er üben kann. Verschmitzt lächelnd zieht Manuel aus der Gesäßtasche seines Blaumanns einen verknitterten Zettel.
»Bibelverse«, sagt er, »ich habe mir Verse aus einer deutschen Bibel abgeschrieben, und die lerne ich auswendig.«
»Und warum aus einer Bibel?«, wollen wir wissen.
»Sie ist zeitlos, und außerdem lese ich sowieso in ihr. Ich bin nämlich Adventist«, erklärt Manuel. Und dann erzählt er voll Begeisterung und ohne jede Hemmung von Jesus.
Was für eine Freude, einem Spanier zu begegnen, mit dem wir unseren Glauben teilen. Pit und ich sind zwar keine Adventisten, aber wir haben uns genauso wie Manuel entschieden, unser Leben mit Jesus zu gestalten, auf sein Wort zu hören und dem, was er uns vorgelebt hat, nachzueifern. Was macht es da schon aus, dass Manuel, so wie es bei den Adventisten üblich ist, lieber am Samstag anstatt am Sonntag frei macht?
»Hier gibt es nicht viele Christen«, erzählt uns Manuel, »bloß eine kleine Handvoll. Da ist es nicht leicht, seinem Glauben treu zu bleiben. Auch deshalb sind mir diese Bibelverse so wichtig.«
Er hält uns die Zettel unter die Nase; alle sind vollgekritzelt mit altem Lutherdeutsch.
Pit lacht: »Aber so spricht heute kein Mensch mehr.«
»Nicht?«, wundert sich unser spanischer Adventist.
»Nein«, sagt Pit und kramt schon in seinem Rucksack. Was er hervorzieht ist sein Neues Testament in moderner Übersetzung, die Gute Nachricht-Bibel.
»Für dich«, sagt er und legt sie Manuel in die Hände. Manuel ist gerührt und kriegt sich kaum ein vor Freude. Immer wieder beteuert er, wie glücklich er ist, uns begegnet zu sein. Pit und er tauschen ihre Adressen aus und versprechen sich gegenseitig, in Kontakt zu bleiben.
Der Mann von der Stadtverwaltung ist längst aufgetaucht, die Herberge ist geöffnet, und ich habe schon mein Bett im oberen Stockwerk belegt und die Duschen ausfindig gemacht. Doch die Männer palavern immer noch. Manuel mag sich einfach nicht von Pit trennen, und so erfährt Pit die Verwandtschaftsverhältnisse sämtlicher Einwohner von Miño. Es ist weit nach sechs, als wir uns schließlich von Manuel verabschieden und uns unserer Körperpflege widmen.
Die Duschen sind großzügig und sauber, und Pit und ich benutzen gemeinsam den Frauenbereich. Wir sind die einzigen Gäste und fühlen uns herrlich frei. In Miño scheinen kaum Pilger durchzukommen. Jedenfalls schauen uns die Einheimischen neugierig hinterher, als wir auf der Suche nach einer Bar, in der wir zu Abend essen können, durch den Ort schlendern. Hier sind wir eindeutig Exoten. Auch in der Bar bekommen wir eine Menge Aufmerksamkeit. Wieder einmal scheinen wir bei der Bedienung für Erheiterung zu sorgen. Warum grinst das junge Ding dauernd so komisch und scharwenzelt ständig um unseren Tisch herum? Lacht sie uns etwa aus? Pit findet das Ganze nur lustig und schäkert fröhlich mit Bedienung und Gästen. »Die mögen uns«, erklärt er, »und meinen es einfach nur gut mit uns zwei müden Wanderern.«
Na, dann will ich es ihm mal glauben. Ich bin aber trotzdem froh, als wir endlich gehen. Der Weg zurück zur albergue führt uns am Strand und am Hafen vorbei, wo wir uns noch eine Weile auf eine Bank setzen und den Abend genießen. Der Himmel leuchtet wie poliertes Silber über dem offenen Meer. Die Wolken darüber sind zwar dunkel, aber an den Rändern kupferfarben und durchscheinend wie
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