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Und was wirst du, wenn ich gross bin

Und was wirst du, wenn ich gross bin

Titel: Und was wirst du, wenn ich gross bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Kemmler
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Auswirkungen dieses Prinzips kennt jeder, der schon mal ausgiebig mit Managern zu tun hatte. Ich bekenne mich diesbezüglich im Nachhinein ebenfalls schuldig im Sinne der Anklage. Wäre ich nicht derjenige gewesen, der sich voller Enthusiasmus wichtigmachte, ich hätte mich für mich geschämt.
    Doch natürlich überwog die selbsterhöhende Seite. Spätestens als ich den ersten Anzug mit Weste erwarb, war ich voll im Business angekommen. Ich träumte davon, Unternehmen jeder Art weltweit zu beraten, und hatte große Freude, mich mit alten Freunden, die sich schon besorgt gezeigt hatten ob meiner Ausdauer in der Berufswahl, in Sachen Wirtschaft und überhaupt auszutauschen.
    Besondere Genugtuung hat mir die Tatsache verschafft, dass ich an der Uni gewonnene rein theoretische Erkenntnisse nun praktischen Tests unterziehen konnte. Angewandt! Ich hatte mich beispielsweise viel und gerne mit den Voraussetzungen für gute Ideen beschäftigt. Das klingt vielleicht banal, ist aber wie das Hoseausziehen beim Beischlaf, man muss es erst mal tun. Im Business und an der Uni kann man natürlich nicht einfach über »gute Ideen haben« reden, da müssen dann schon Begriffe wie »Innovation« (ein »must have« unter den Businessworten) oder »Paradigmenwechsel« fallen, um loslegen zu dürfen. Ein aradigmenwechsel übrigens ist so etwas wie die Erkenntnis, dass sich die Erde um die Sonne dreht anstatt umgekehrt, oder die Erkenntnis, dass nicht der Berater das Unternehmen macht, sondern das Unternehmen den Berater. Eine der großen Wahrheiten der Ideenforschung ist, dass nicht einmal fünf Prozent aller wirklich bedeutungsvollen Ideen, Erfindungen und Innovationen den Menschen im Büro einfallen. Dagegen weit mehr als zwanzig Prozent beim Spazierengehen, allgemein im Grünen oder in der Kaffeeküche.
    Diese Erkenntnis nutzte ich in der Form, dass ich meinen Arbeitsplatz großflächig in den großen Lichthof des Gebäudes verlegte, strategisch günstig in der Nähe des Kaffeeautomaten. Dort saß ich dann und arbeitete an revolutionären Konzepten. Ich räume ein, revolutionär ist vielleicht übertrieben, aber sie waren auch im Nachhinein betrachtet durchaus im Sinne der Sache. Nun war der Lichthof aber so etwas wie das Aquarium des Gebäudes, fast jeder konnte aus den Büros darauf hinausschauen. Und es schauten viele. Innerhalb kürzester Zeit war ich bekannt als der Typ, der schamlos stundenlang Kaffee trinkt, anstatt zu arbeiten. Empörte Blicke trafen mich, bevor sie sich angewidert wieder dem Solitairespiel auf den Rechnern zuwandten. Auch Kollegen in einem großen Unternehmen können Fluggäste oder Verkehrsteilnehmer sein.
    Ich hatte mal wieder die Bedeutung des Inhalts über-, und die Form und die Macht des Grillens unterschätzt. Wenn man morgens aus dem Haus geht, in Anzug mit Krawatte und Aktentasche, kann man jahrelang vortäuschen zu arbeiten, wie in meinem Bekanntenkreis auch einmal geschehen, aber wenn man zu Hause arbeitet, bis drei Uhr nachts, und ab zehn Uhr morgens wieder am Schreibtisch sitzt, wird man in der Nachbarschaft schnell bekannt sein als der faule Sack, der nachts immer Orgien feiert und ausschläft, während andere Menschen arbeiten müssen. Es ist ein zutiefst menschlicher Zug, so zu denken, den ich zutiefst verachtete. Was weder die Menschheit veränderte, noch mir irgendwas einbrachte. All mein Widerwille und vor allem mein Trotz änderten nichts an der Erkenntnis, dass es auch und gerade im Business nicht nur darauf ankommt, was man tut, sondern wie und wo man es tut.
    So wurde das Projekt, an dem ich mitarbeitete, noch bevor es zur Umsetzung gelangte, eingestellt. Die Erkenntnisse daraus wurden allerdings schon bald umgesetzt, und zwar zu Ehren der Leiter eines neuen Projekts, unter anderem Namen, mit größerem lobbyistischen Geschick und ohne Einbeziehung des Lichthofes. Auch in der Wirtschaft gilt nicht einfach »Ehre, wem Ehre gebührt«.
    Ich erwog natürlich sofort, ein anderes Unternehmen zu beraten, aber in Ermangelung von Ideen, wie ich das anstellen sollte, blieb ich und konzentrierte mich darauf, zumindest noch eine Vertragsverlängerung in einem weiteren Projekt zu erreichen. Das hätte ich mir vielleicht sparen sollen. So wie Flugbegleiter einst Stewardessen waren - wobei Steward im Altenglischen einen Verwalter bezeichnete - und heute zunehmend als Saftschubsen gesehen werden, so verlor das Business seinen Glanz für mich.
    Es endete unerfreulich, im Streit um Entlohnung und mit der

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