Und was wirst du, wenn ich gross bin
erfolgt, wie bei mir, klassischerweise über ein Praktikum. In meinem Fall war es ein Praktikum im Bereich Marketing bei einer sehr großen Airline, Abteilung Produktentwicklung.
Nun sollte ich vielleicht vorab die Vielflieger beruhigen, »Produktentwicklung« bedeutete keinesfalls, dass ich unmittelbar an Bau und Konstruktion der Flugzeuge beteiligt war. Das erschien wohl allen Beteiligten zu riskant. Außerdem hätte ich hierfür zu einem Flugzeugbauer gehen müssen, nicht zu einer Airline, die bekommt die Flugzeuge ja im Normalfall flugfertig angeliefert.
Ich arbeitete an einem Projekt, das alles betraf, was bei Mittel- und Langstreckenflügen passiert, sobald man an Bord gekommen ist. Das umfasste zum einen Serviceabläufe: Wie viele Uniformierte sollten zu welchen Zeiten hinter den kleinen Vorhängen stehen, um sich zu erzählen, was der Copilot beim letzten Layover in Hongkong gemacht hat, und wann und wie oft sollte ausgesuchten Gästen Tomatensaft über die Hose gekippt werden. Dann gehörte noch die Auswahl der Innenausstattung dazu: Welche Art Sitz sollte in welcher Klasse eingebaut werden, und was sollte sich alles in den Lehnen befinden, um damit zu spielen oder selbst Tomatensaft hineinzukippen.
Da kommen einem natürlich sofort jede Menge Ideen. Mein erster Gedanke war, an den Rückseiten der Lehnen Aussparungen anzubringen, in denen der Passagier gerade auf langen Flügen wichtige Dinge unterbringen kann, wie beispielsweise seine Knie. Aber hier stößt man nicht nur mit den Knien sehr schnell an Grenzen; es gibt, besonders in zehntausend Metern Höhe, eine Menge technische Einschränkungen. Dort, wo ich gerne meine Knie platzieren wollte, befinden sich zum Beispiel unverzichtbare Bauteile, in diesem Fall die Nieren des davor sitzenden Fluggastes. Oder wie man in der Sprache der Luftfahrt anstatt Fluggast sagt: der Pax. Dieser auch in der Reisebranche verwendete Ausdruck ist die Abkürzung für Passagier.
Generell habe ich hier ein völlig neues Reservoir an Sprache vorgefunden. Zum einen die Businesssprache, also englische Ausdrücke für sämtliche Vorgänge im Büro, die dazu dienen, sich als wichtiges Mitglied einer Elitetruppe zu fühlen. »Penfocussing« klingt einfach besser als »Bleistiftspitzen«. Und wenn man diese Begriffe zusätzlich noch verschlüsselt, indem man sie abkürzt, wie TQM, was Total Quality Management bedeutet und besser klingt als »es möglichst gut machen«, dann gibt einem das ein geradezu freimaurerisches Gefühl der Besonderheit. Ich musste mich natürlich erst einmal einleben und an die Sprache gewöhnen. Anfangs gab es da einige Missverständnisse, so wäre ich zum Kick-Off-Meeting des Projekts beinahe in Fußballklamotten erschienen. Doch mit der Zeit kriegt man den Dreh raus.
Generell empfiehlt es sich im Business, auch Projekte mit Titeln zu belegen, die aus klangvollen Abkürzungen englischer Worte bestehen. Ich befand mich als Quereinsteiger demnach im Prozess SAGMAL (Speaking Abbreviations, Generating Money After Learning), also »durch Aussprechen von Abkürzungen Geld verdienen nach der Studienzeit«.
Da ich aber nicht nur im Business gelandet war, sondern außerdem bei der Luftfahrt, kam noch ein ganzes Füllhorn an technischen Fachausdrücken aus selbiger hinzu. Das hatte einen entscheidenden Vorteil: Sobald man sich auch in diese Sprache ein bisschen eingearbeitet hatte, konnte man sich so ausdrücken, dass kein Außenstehender bezweifeln konnte, es handle sich beim Sprecher um etwas anderes als einen absoluten Profi.
Da ich beim Sprachenlernen immer schon recht schnell war, schlug ich mich sehr wacker und wurde aus dem Praktikum heraus direkt als freier Berater für das Projekt engagiert. Das war großartig. Freier Berater! Allein das Wort »frei« empfand ich als Segen, weil es nach institutioneller Unabhängigkeit klang und mir das Gefühl gab, ich könne auch jederzeit andere große Unternehmen beraten. Ich hatte also einen richtigen Beruf, mit richtiger Bezahlung und mit Krawatte.
Und das in einem Bereich, von dem jeder träumt. Luftfahrt, das trägt den Hauch von großer weiter Welt, von globalem Dorf, international und aufregend. Scheinbarer Nachteil war, um am Knotenpunkt dieser Träume zu arbeiten, musste ich nach Frankfurt ziehen. Nun erwartete jeder von mir, binnen kurzer Zeit das Vorurteil bestätigt zu hören, dass von allen deutschen Städten Frankfurt die unerfreulichste sei. Das kann ich aber nicht bestätigen. Im Gegenteil,
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