Und was wirst du, wenn ich gross bin
beendet. So auch in diesem Fall - und es war sehr viel Arbeit gewesen. Achtundzwanzig Songs, ein ganzes Musical als Partitur für achtundzwanzig Stimmen, Klavierauszüge, eingesungene CD, das ganze Programm. Es musste nur noch aufgeführt werden, worauf wir uns nicht nur künstlerisch, sondern auch gesellschaftlich freuten, denn wir hatten einen Vertrag, der uns im Erfolgsfall astronomische Summen garantierte. Es gab zwar gerade noch die D-Mark, aber es wäre auch in Euro noch unfassbar viel Geld gewesen.
Ich finde, jeder sollte - schon zur Charakterschulung - einmal einen Vertrag in den Händen halten, in dem der eigene Name in engem Zusammenhang mit Millionen steht. Es ist ein großartiges Gefühl, wie sicher jeder nachvollziehen kann. Man fühlt sich rückwirkend in so vielen Dingen bestätigt, die man gemacht hat. Besonders wenn man drei Jahre zuvor noch auf dem Sofa schimmelte, steigert das die Euphorie exponentiell.
Wenn man etwas geschrieben oder komponiert hat und hundert Euro dafür bekommt, ist das großartig, aber wenn man für das Gleiche hundert tausend Euro erhält, kommt es einem beinahe selbst so vor, als wäre es wertvoll. Auch wenn das künstlerisch Unsinn ist und niemand weiß, welches der beiden Werke wertvoller, anspruchsvoller oder arbeitsintensiver ist.
Denn man kann immer nur tun, was man gerade tut, so gut es geht. Wenn ich etwas im Auftrag - also mit vorgegebenem Thema oder vorgegebener Form - schrieb, hatte ich mich immer so behandelt, als wäre ich ein Ghostwriter meiner selbst. Also kein echter Künstler, sondern ein Dienstleister, und zwar für mich. Wobei mein anderes »Ich« dann das entstandene Werk an die Auftraggeber als Kunstwerk weiterreichte und zu verkaufen versuchte. Klingt schizophren, ist es auch, war aber so.
Diese Vorgehensweise half sehr dabei, mir zu erlauben, überhaupt Geld für meine Kunst zu verlangen. Hätte mir jemand gesagt, ich sei jetzt Künstler und solle mich mal hinsetzen und was produzieren, und hätte dann irgendwas von Summen oberhalb von zehn Euro genannt, wäre ich wahrscheinlich kichernd vom Stuhl gefallen. Oder ich wäre in Tränen ausgebrochen, hätte dem Anbieter die Knie umschlungen und ihm mit schluchzender Stimme dafür gedankt, mich Künstler genannt zu haben und mich als solchen ernst zu nehmen.
Als Dienstleister war es einfacher, ich stand bei mir einerseits in Lohn und Brot, war also versorgt, und andererseits musste ich mich als mein Auftraggeber und Manager natürlich um »uns beide« kümmern. Das Prinzip kennen ja viele: Vertritt man jemand anderen, ist man sicherer und souveräner, als wenn es um die eigene Person geht. In diesem Fall war die andere Person eben auch ich.
So konnte ich entspannt ab und zu mal mehr Geld verlangen. Natürlich auch deshalb, weil ich als mein innerer Manager wusste, dass das Kunstgewerbe wie die Börse ist. Mal hoch bezahlt, mal schlecht bezahlt, unabhängig vom Wert der Sache und schon überhaupt nicht leistungsabhängig. Wenn man über die Jahre so viele Stundenzettel ausgefüllt hat wie ich, ist es skurril, wenn überhaupt niemand mehr wissen will, wie lange man an etwas gesessen ist, und sich nur für das Ergebnis interessiert. Ob das an einem Tag oder in einem Monat zustande gekommen ist, kümmert die Leute so viel wie die Vermietungsannoncen des vergangenen Jahres.
Und obwohl ich zuvor schon einige Texte geschrieben hatte, war doch immer im Inneren das Gefühl geblieben, nur zu betrügen. Irgendwann, so war ich überzeugt, würde mir bestimmt jemand auf die Schliche kommen und herausfinden, dass ich trotz einiger Erfolge in Wahrheit gar kein Autor war, kein Librettist oder was immer mir sonst noch einfallen würde, sondern ein planloser Studienabbrecher mit einem gewissen Hang zu Worten.
Der erwähnte Vertrag mit den astronomischen Summen rüttelte zugegebenermaßen gewaltig an dieser Haltung. Wenn jemand so viel bot, musste etwas dahinterstecken, was er wirklich haben wollte, obwohl es von mir stammte. Für diese Erfahrung war ich sehr dankbar, auch wenn die Insolvenz der Produzenten das dazugehörige Millionärsleben verhinderte.
Denn das Projekt hat mir anderes ermöglicht:
Fairerweise muss ich nämlich erwähnen, dass vor der Insolvenz Vorauszahlungen vereinbart worden waren, bis das Stück gespielt wurde. Diese Vorauszahlungen waren üppig, aus der Sicht des Flohmarktplattenverkäufers oder aus der Sicht von Quasimodo waren sie sogar paradiesisch. Und da ich nach der Fertigstellung des
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