Und was wirst du, wenn ich gross bin
Musicals natürlich anderweitig weiterarbeitete, gaben sie mir die Möglichkeit, eine Aktion zu starten, die ich »Wunscherfüllungsprogramm« taufte: Ich legte mir alles zu, was ich jemals gerne hatte besitzen wollen. Schiffe oder Flugzeuge mal ausgenommen. Trotzdem fühlte ich mich wie ein Bub mit Kreditkarte im Spielzeuggeschäft. Erste Amtstat war die Anschaffung eines Plattenspielers für die übrig gebliebenen Scheiben, mit einem englischen Vorverstärker und einer Endstufe, wobei ich allein die Worte »Vorverstärker« und »Endstufe« genoss. Ich kaufte eine gebrauchte Yamaha XT500 Baujahr ‘86 und leaste einen Land Rover Defender, das Auto der Wahl für Savannenforscher, die etwas auf sich halten. Dazu eine Expeditionsausrüstung, mit der ich drei Jahre in der Steppe hätte überleben können, sowie eine Videokamera nebst Fotoapparat, um die Expeditionen festzuhalten, und weil doch noch ein Rest Dokumentarfilmerehrgeiz in mir und Iris schlummerte. Wir zogen gemeinsam um, in eine an einem Flüsschen gelegene Doppelhaushälfte, mit einer selbst ausgesuchten Küche im Wert eines Kleinwagens. In den vier Jahren, die wir dort gemeinsam wohnten, hat Iris glücklicherweise nie Miete gezahlt, worüber ich mich sehr freute, schließlich hatte ich in der gemeinsamen Wohnung zuvor auch nie Miete gezahlt.
Ich war also vom Tellerwäscher zum Mittelständler geworden.
Und dann fuhren wir obendrein noch für drei Monate nach Spanien, wo wir noch nie gewesen waren (außer auf Gomera), um dort wieder herumzudokumentarfilmen oder generell alles zu machen, woran wir gemeinsam Freude hatten. Auch wenn wir endgültig feststellten, keine Dokumenteure zu sein, und auch keine Spanienfans wurden, so gab es doch sehr viele schöne Momente.
Und in Granada, der Heimat des Flamenco, habe ich mir am Fuße der Alhambra bei einem siebzigjährigen einarmigen Gitarrenbauer tatsächlich eine spanische Gitarre zugelegt. Obwohl seine Einarmigkeit hinlänglich erklärte, warum er Gitarren baute und nicht spielte, hatte ich anfangs kleine Zweifel an den Instrumenten. Aber er wirkte auf Anhieb wie ein alter Meister in einem Zeichentrickfilm, und der Laden hätte genauso gut verzaubert sein können: Er hatte eine Ausstrahlung, als würde er nur in Vollmondnächten existieren und dann wieder für zehn Jahre verschwinden. Wie ich später herausfand, handelte es sich bei dem Mann um einen legendären Gitarrenbauer Spaniens. Ich nahm mir fest vor, die erworbene Gitarre auch zu spielen, irgendwann, nach unserer Rückkehr, und stolzierte durch Granada, als wäre ich nie etwas anderes als Gitarrist gewesen.
Das Wunscherfüllungsprogramm war also ein großer Spaß. Doch obwohl ich jetzt gefühlt alles hatte, um tun zu können, was ich mir immer erträumt und vorgestellt hatte, tat ich es fast nie. Und ich war, wider Erwarten, auch nicht restlos erfüllt. Es fühlte sich freudig an, aber nicht so, als hätte ich »es geschafft«. Ich war beinahe ein bisschen beleidigt, da ich fand, man kann schon ein wenig mehr Dankbarkeit erwarten, wenn man jemanden so großzügig beschenkt, vor allem wenn es sich um einen selbst handelt. Sicher hatte es den Vorteil, dass mir niemand mehr Vorträge über Berufswahl oder Altersvorsorge hielt und ich gesellschaftlich plötzlich als Erfolgsmodell galt. Aber das konnte ich ebenso wenig ernst nehmen wie die gegenteilige Ansicht zuvor. Darauf angesprochen erzählte ich meist irgendwas von Freiheit.
So fand ich heraus, dass ich mir meine Wünsche erfüllen muss, um beurteilen zu können, wie wichtig sie mir sind. Wie die Wellenreiterwellen. So wie ich generell alles konkret ausprobieren muss, von dem ich glaube, es einmal tun zu müssen. Ob das Gitarre spielen ist oder barfuß die Niagarafälle hinaufrudern. Danach weiß ich dann, ob es ein Weg ist oder nur eine schöne Vorstellung war; auf jeden Fall muss ich nie wieder darüber nachdenken.
Und einige der schönsten Wünsche enden manchmal sogar nach ihrer Erfüllung. So stellten Iris und ich zunehmend fest, obwohl wir größtenteils nach unseren Wünschen lebten, dass wir miteinander doch nicht so wunschlos glücklich waren, wie wir das wollten. So wie die Erfüllung von Wünschen allein nicht erfüllt, macht Liebe allein eine Beziehung nicht glücklich.
Um mal wieder mein Geschick für Timing zu beweisen, trennten wir uns unmittelbar vor einem meiner größten Erfolge. Ich hatte erneut an einem Musical mitgewirkt, in diesem Fall als Co-Übersetzer und
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