Und weg bist du (German Edition)
geträumt hatte, dass Jack, Noah und ich dem Haus eines Tages gemeinsam den Rücken kehren würden.
Schließlich gelangte ich zu Hazels Schlafzimmer. Langsam schob ich die Tür auf und die rostigen Angeln quietschten so sehr, dass sich in mir alles zusammenzog. Ich stand im Türrahmen und spähte ins Zimmer. Wegen des Nebels vor den Fenstern wirkte das Licht in dem Raum noch grauer und düsterer als bei meinem letzten Besuch. Mit den Augen suchte ich jeden Winkel ab, in der verzweifelten Hoffnung meinen Bruder zu finden, doch er war nirgends zu sehen. Eine Schwere überkam mich, so als wäre meine Seele in einem Betonklotz eingeschlossen und würde auf den schlammigen Grund eines Flusses hinabsinken.
Ich betrat den Raum. Auf dem Boden war eine Pfütze – Reste des Regens, der durch ein Loch in der Decke eingedrungen war. Ich war mir inzwischen sicher, dass Jack sich nicht in diesem Zimmer befand, und da ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, legte ich die Hand auf meine schmerzende Seite und ging zu dem kleinen Tisch. Obwohl er beschädigt war, ließ sich die Schublade noch öffnen. Ich schaute hinein. Sie war leer.
Nun hatte ich mich überwunden nach Seale House zurückzukehren, und wofür?! Ich riss die Schublade heraus und schleuderte sie durch den Raum. Mit einem lauten Krachen prallte sie von der Wand ab und blieb dann kopfüber auf dem Boden liegen. Plötzlich bemerkte ich, dass auf der Unterseite etwas festgeklebt war. Ich riss den cremefarbenen Umschlag ab, auf dem mein Name stand.
»Warum, Jack?«, flüsterte ich.
Warum ein weiteres Rätsel, das zu nichts führte? Und warum musste ich Noah wiederbegegnen und mich damit zwangsläufig erneut verlieben, nur damit er mir mitten ins Herz stach, als sei ich ein Vampir und er Van Helsing?
Ich streifte meinen Rucksack ab und warf ihn auf eine trockene Stelle am Boden. Dann öffnete ich den Umschlag und zog mehrere Papierbögen daraus hervor, auf denen die vertraute Druckschrift meines Bruders zu sehen war. Ich ging zu dem regennassen Fenster und drehte das Papier, bis genug Licht darauf fiel, um lesen zu können.
Hallo Jocelyn!
Wenn du diesen Brief schon findest, wenn ich dich zum ersten Mal in Hazels Schlafzimmer führe, wird einiges, was ich hier schreibe, für dich keinen Sinn ergeben. Doch ich hoffe, dass du mit dem Rätsel im Keller beginnst und der Route folgst, die ich für dich vorgesehen habe.
»Das ist so typisch«, sagte ich laut und lächelte traurig – trotz allem.
Bevor ich zum Hauptgrund für diesen Brief komme, musst du erfahren, was bei ISI geschehen ist. Eines Tages kam mein Chef, Sam Lessing, zu mir. Er sagte, ein Mann namens Paul Gerard, der früher bei ISI angestellt gewesen sei, hätte ihnen etwas gestohlen. Da ich der einzige Mitarbeiter war, den Gerard noch nicht getroffen hatte, bat Sam mich, es zurückzuholen. Er sagte, worum es sich handele, dürfe er nicht verraten, aber er ließ keinen Zweifel daran, dass es die Firma ruinieren könnte, wenn es in die falschen Hände geriete.
Ich willigte ein zu helfen, weil ich nicht wollte, dass Noah Schaden davontrug. Wenn ISI zerbrach, könnte es für den einzigen Freund, der immer für mich da gewesen war, den Ruin bedeuten. Das konnte ich nicht zulassen und so nahm ich die Informationen, die Sam mir gab, und machte mich auf die Suche nach Paul Gerard.
Die Einzelheiten erspare ich dir, aber die Sache ging schief. Obwohl es mir gelang, Gerard die gestohlene Datei abzunehmen, kam er bald dahinter und verfolgte mich seinerseits. Er überfiel mich und ich konnte ihm nur mit Mühe entkommen. Ich war verletzt und total geschockt. Sam Lessing hätte mich nie mit dieser Aufgabe betrauen dürfen – er hatte mich in Lebensgefahr gebracht.
Als ich mich endlich an einem sicheren Ort befand, beschloss ich nachzusehen, was Gerard eigentlich gestohlen hatte und warum es so wichtig war. Ich erfuhr, dass zahlreiche von ISIs Sicherheitsprogrammen bewusst Hintertüren enthielten. Gerard hatte die Liste der Passwörter entwendet, um all diese verborgenen Hintertüren zu öffnen, die man wahrscheinlich äußerst gewinnbringend hätte veräußern können. In einer Sache hatte Sam Recht: Wenn die Liste in die falschen Hände geriete, wäre die Firma ruiniert. Wahrscheinlich müssten sogar einige Leute von ISI ins Gefängnis, denn so etwas war illegal.
Noah wollte ich nach wie vor schützen, aber ich war mir nicht mehr sicher, ob ich die Liste noch an ISI zurückgeben wollte. Ich brauchte Zeit zum
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