Und weg bist du (German Edition)
noch immer nicht begreifen, dass sie ihm tatsächlich wiederbegegnet war und ihn getötet hatte, um sich zu rächen.
Schließlich erschienen in der Ferne Lichter vor dem samtschwarzen Himmel wie ein Band schimmernder Juwelen. Ich nahm Jacks schlaffe Hand und flehte ihn an durchzuhalten. Bald würde er in ein Krankenhaus kommen.
Wir rasten in die Stadt und fanden ein kleines Krankenhaus. Vor der Notaufnahme blieben wir stehen. Melody sprang aus dem Pick-up und schrie um Hilfe. Sofort kam jemand heraus und fühlte Jacks Puls. Sie legten meinen bewusstlosen Bruder auf eine Rolltrage und eilten nach drinnen. Ich folgte ihnen und starrte auf die geschlossenen Türen, durch die sie ihn geschoben hatten. Jedes Mal wenn jemand vorbeilief, zuckte ich zusammen.
Nach einer Weile kam ein Arzt zu mir. Er hatte freundliche Augen und auf seinem Namensschild stand Dr. Brent Haberton. Er bedeutete einer Krankenschwester, sie solle mich ins Wartezimmer bringen. Ich folgte der Frau zunächst, blieb dann aber auf dem Gang stehen, als ich die heulende Melody in dem Raum erblickte. Ich konnte es nicht ertragen, in der Nähe meiner Mutter zu sein. Stattdessen ging ich weiter, bis ich zu einer kleinen Kapelle mit abgedunkelten Fenstern kam. Dort blieb ich lange sitzen, wiegte mich vor und zurück und betete für Jacks Leben. Nach einer Weile öffnete sich die Tür und Melody kam herein.
»Jack ist tot«, schluchzte sie.
Ich starrte sie an. Ich konnte es nicht glauben. »Nein«, stieß ich leise krächzend hervor.
»Zuerst Calvert und jetzt Jack«, jammerte sie. »Ich habe die einzigen Menschen verloren, die ich je wirklich geliebt habe.«
Wie konnte sie die beiden Namen in einem Atemzug aussprechen?
Angewidert sah ich sie an. Sie griff nach meinem Arm und sagte: »Die Polizei ist hier. Ich habe sie vorn an der Anmeldung gesehen. Wir müssen weg, bevor sie kommen und mit uns sprechen wollen!«
Ich riss mich los und schlug sie so fest ins Gesicht, dass mir die Hand wehtat. Überrascht taumelte sie rückwärts und hörte vor Schreck für einen Moment auf zu weinen. Ich war zwar erst vierzehn, aber bereits größer als sie. Dennoch hatte sie bislang nie Angst vor mir gehabt. Doch jetzt musste mein Blick so furchterregend gewesen sein, dass sie zurückwich.
»Du hast Jack umgebracht«, zischte ich und spuckte die Worte aus, als wären sie Steine, die mir die Zähne sprengten. »Deinetwegen ist er tot! Ich werde der Polizei sagen, was du ihm angetan hast. Und wenn du noch einen Moment länger hierbleibst oder je versuchst mich wiederzusehen, werde ich ihnen sagen, dass du auch Calvert und seine Begleiterin auf dem Gewissen hast.«
Melody starrte mich ungläubig an und vergaß darüber die Tränen für Jack und sogar die für ihren blöden Freund, der sie sitzengelassen hatte. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt, rauschte hinaus und ließ mich allein in der finsteren Kapelle zurück. Ich sank wieder auf die Bank. Ich fühlte mich vollkommen leer, mein Inneres lag in Scherben und ich spürte keinen Funken Hoffnung mehr. Das Leben hatte für mich jeglichen Sinn verloren. Ich sehnte mich nach Jack und verfluchte mich dafür, dass ich mich am Armaturenbrett abgestützt und mir somit das Leben gerettet hatte. Wir waren immer zwei Hälften eines Ganzen gewesen. Ich hatte keine Vorstellung, wie ich ohne ihn weiterleben sollte.
Dann öffnete sich die Tür zur Kapelle erneut. Ich fuhr herum, bereit auf Melody loszugehen. Stattdessen kam eine alte Frau auf mich zu. Sie hatte Haut wie Pergament und dünnes, weißes Haar. Sie trug eine violette Bluse und ein Kreuz um den Hals. Auf einem Namensschild stand EHRENAMTLICHER DIENST. Betrübt sah sie mich aus ihren grünen, verständnisvollen Augen an. Sie fragte, ob sie sich neben mich setzen dürfe, doch ich antwortete nicht. Sie setzte sich dennoch und erzählte mir, dass ihr Sohn hier in diesem Krankenhaus an Krebs gestorben sei. Mit sanfter Stimme redete sie noch eine Weile weiter. Was sie sagte, nahm ich jedoch kaum wahr.
Nach einer Weile hörte sie auf zu sprechen und wir blieben schweigend nebeneinander sitzen.
Verzweifelt flehte ich Jack, wie so oft, um Hilfe an. Er sollte mir versichern, dass er noch am Leben war, dass dieser übelste aller Scherze nicht real war.
»Weißt du«, begann die Frau schließlich erneut, »eine Sache, die ich gelernt habe, ist, dass er immer bei dir sein wird.«
Ich drehte mich zu ihr um und sie streckte ihre Altfrauenhand aus, um mir mit den Fingern über die
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