Und weg bist du (German Edition)
nicht sicher, ob ich das herausgefunden hätte.«
Er erwiderte das Lächeln, doch seine Augen schauten noch immer grimmig drein. »Gern geschehen.«
Das war ein Fortschritt, ebenso seine Bereitschaft, mich nach Kanada zu fahren.
Wieder im Jeep, schwiegen wir beide. Der kräftige Ostwind brachte die Äste und Blumenampeln zum Schwanken. Einige Teile Watertowns, durch die wir fuhren, kamen mir bekannt vor, andere nicht, über allem lag jedoch der Schatten der Vergangenheit.
»Warum bist du hiergeblieben?«, erkundigte ich mich.
»Ich bin hier aufgewachsen.«
»Eben. Warum bist du dann nicht fortgegangen?«
»Ich wollte nicht.«
Ungläubig starrte ich ihn an. »Komm, Noah. Wir haben dauernd darüber geredet, hier so schnell wie möglich rauszukommen. Erinnerst du dich nicht mehr, wie wir uns überlegt haben, wo wir am liebsten wohnen würden? Jack hat seine Meinung jede Woche geändert. Manchmal wollte er nach China, dann wieder nach Schottland oder Griechenland. Aber du hast immer von Kalifornien geträumt. Du hast gesagt, du wolltest an einem warmen Strand leben und nie mehr Schnee schieben.«
»Aha? Und du wolltest immer an die kanadische Küste. Auch wenn du noch nie dort gewesen bist, oder? Wie hieß der Ort noch gleich?«
»Charlottetown auf Prince Edward Island.«
»Stimmt, das hatte mit den Anne-auf-Green-Gabels-Büchern zu tun, die du so gern gelesen hast. Aber da ist auch nichts draus geworden. Stattdessen lebst du im Bundesstaat New York und dir geht es wie mir. Das Leben verläuft nie so, wie man es sich als Kind ausmalt.«
»Das ist aber ziemlich fatalistisch, findest du nicht? Wir haben sehr wohl eine Wahl. Wenn ich in einigen Monaten achtzehn werde, habe ich eine Menge Dinge vor, die ich schon immer tun wollte. Und ich werde ganz sicher nicht mein ganzes Leben an nur einem Ort verbringen.«
Noah verdrehte die Augen. »Im Moment bist du wieder ganz die alte Miss Plappermaul.«
Den Spitznamen, den die Brutale Beth mir gegeben hatte, mochte ich heute genauso wenig wie früher. Doch statt mit einer saftigen Retourkutsche zu antworten, schrie ich erschrocken auf. Ein großer Stein, der aus einem vorbeifahrenden Fahrzeug geworfen worden war, traf unsere Windschutzscheibe.
elf
DER TURM
Die drei Kakerlaken-Kids wirkten in dem hellblauen Ford Focus seltsam deplatziert. Sie waren wahrscheinlich viel zu jung, um überhaupt fahren zu dürfen. Doch mir blieb kaum Zeit darüber nachzudenken, da ein zweiter Stein gegen unsere Scheibe prallte und einen münzgroßen Sprung ins Glas schlug. Noah bremste und ich konnte die beiden schwarzhaarigen Jungen, die aus den Seitenfenstern hingen, genauer erkennen. Die Gummibänder ihrer Schleudern flatterten im Wind. Sie grinsten wie Teufel und zeigten uns den Stinkefinger, während sie davonpreschten.
Noah kam auf dem Seitenstreifen zum Stehen. Wir starrten auf die gesprungene Windschutzscheibe. Er griff nach seinem Handy und tippte die Automarke, das Modell und das Kennzeichen ein. Dann rief er die Polizei an und meldete den Vorfall. Es dauerte einen Moment, bis er alle Informationen weitergegeben hatte. Als er das Gespräch beendet hatte, sah er mich an. »Willst du mir vielleicht etwas erklären?«
Noahs Blick war so bohrend, dass ich mir vorkam wie ein Wurm am Haken. »Was meinst du?«
»Heute Morgen in Seale House habe ich noch geglaubt, dass das weißblonde Mädel dort zufällig aufgetaucht war. Aber jetzt schon wieder so eine Attacke? Langsam habe ich das Gefühl, dass es einen Grund gibt, weshalb diese Kids es auf dich abgesehen haben?«
»Ich bin ihnen gestern Abend schon begegnet, als ich mich in Seale House umgesehen habe, okay? Sie haben in dem vorderen Raum ein Lagerfeuer gemacht. Vielleicht sind sie auch für den Brand verantwortlich, aber das weiß ich nicht.«
Ängstlich blickte ich auf die Straße und hielt die Augen offen, ob der blaue Ford wieder auftauchte. »Erinnerst du dich noch an Georgie? Er war gestern auch dabei. Natürlich war er nicht mehr der niedliche kleine Junge von früher. Und er war auch nicht gerade erfreut mich zu sehen.«
»Echt?«
»Er wollte mich erstechen.«
Als das keine Reaktion bei Noah hervorrief, entschied ich es hinter mich zu bringen. Entschlossen gab ich ihm eine kurze Zusammenfassung der Geschehnisse. Beim Erzählen blieb mir nichts anderes übrig, als mir über den unbekannten Schützen sowie Georgies Schicksal Gedanken zu machen. Obwohl Georgie versucht hatte mich zu erstechen, zog sich bei dem Gedanken an
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